Ein slate-graues Porsche 911 Carrera Cabriolet biegt in eine lange, breite, sonnenverwöhnte Schotterauffahrt ein, die zu einem rustikalen, umgebauten Bauernhof führt. Am Steuer sitzt Porsche-Fahrer Laurin Heinrich, der diese einmalige Reise unternommen hat, um einen Rennfahrerkollegen zu treffen.
Sein Gastgeber kann auf eine Karriere zurückblicken, von der die meisten nur träumen können. Unter seinen vielen Erfolgen gibt es einen, über den Heinrich hier sprechen möchte – einen Sieg bei Japans härtester Rennveranstaltung, dem 1000-km-Rennen in Suzuka. Die Rede ist von Rennsportikone Henri Pescarolo.
Rennsport-Legende Henri Pescarolo
Pescarolo ist ein Name, der gleichbedeutend mit Sportwagenrennen ist. Seine rekordverdächtigen 33 Teilnahmen an den 24 Stunden von Le Mans und vier Siege, darunter 1984 mit Porsche, sind nur die Spitze des Eisbergs seiner glanzvollen Karriere. Er feierte Triumphe in allen Teilen der Welt, darunter in Spa-Francorchamps, Daytona, Buenos Aires, Kyalami und Watkins Glen, um nur einige zu nennen. Und dann ist da noch Suzuka im Jahr 1981, weshalb Heinrich die Reise angetreten hat.
Nach seiner Ankunft und einer herzlichen Begrüssung zwischen den beiden freut sich Heinrich, Pescarolo ein gerahmtes Bild ihrer jeweiligen Suzuka-1000-km-Rennwagen zu überreichen, oben Pescarolos siegreicher 935 und darunter Heinrichs 911 GT3 R. Auf der Rückseite des Rahmens hat Heinrich eine Dankesbotschaft für die Einladung geschrieben.
Der Deutsche hat einen hervorragenden Start in seine Motorsportkarriere bei Porsche hingelegt. Mit nur 23 Jahren kann der junge Rennfahrer aus Würzburg bereits eine beeindruckende Rennkarriere vorweisen: Er ist amtierender Champion der GTD Pro-Klasse in der IMSA WeatherTech SportsCar Championship und hat Siege im Porsche Mobil 1 Supercup, der GT World Challenge Asia und dem Porsche Carrera Cup Deutschland errungen.
Die nächste grosse Herausforderung für den Porsche Junior 2022 ist das 1000-km-Rennen von Suzuka, das zum ersten Mal seit 2019 wieder stattfindet. Heinrich wird für das Team Origine Motorsport zusammen mit seinem ehemaligen Porsche Junior-Kollegen Bastian Buus und Alessio Picariello, ehemaliger Porsche Motorsport Asia Pacific Selected Driver, an den Start gehen. Als Hersteller versucht Porsche seinen Rekord von elf Rennsiegen bei dieser Veranstaltung weiter auszubauen.
Porsche 911 GT3 R mit besonderer Lackierung
Nachdem Heinrich letztes Jahr in Suzuka bei der GT World Challenge Asia gewonnen hat, will er seinem bereits gut gefüllten Trophäenschrank einen weiteren Pokal hinzufügen, und deshalb hat er sich mit Pescarolo getroffen. Sein Sieg bei diesem Rennen im Jahr 1981 war für die Marke so bedeutend, dass Heinrichs Origine Motorsport Porsche 911 GT3 R mit einer nahezu identischen Lackierung zu Ehren dieses Sieges an den Start gehen wird. Damit ist Heinrichs’ Elfer einer von drei Porsche-Rennwagen in der höchsten GT-Kategorie, die klassische Neuauflagen berühmter Porsche-Designs verwenden werden.
Nachdem sie sich begrüsst haben und das Haus betreten, kommen die beiden sofort ins Gespräch über das bevorstehende Rennen. Von Anfang an war klar, dass es Unterschiede in der Vorbereitung und der Kenntnis der Rennstrecke gab. Pescarolos‘ Reise nach Suzuka im Jahr 1981 war seine erste an diesen Ort, und die Rennstrecke war noch nicht so beliebt bei den Fans wie heute – auch weil sie damals noch nicht im Formel-1-Kalender stand.
„Ich wusste nichts über die Strecke“, erklärt Pescarolo. „Ich war angenehm überrascht, wie gut sie sich fahren liess. Damals war sie eine der interessantesten Rennstrecken über eine Runde und hatte jede erdenkliche Art von Kurven zu bieten. Ich hatte die Gelegenheit, auf der ganzen Welt Rennen zu fahren, daher war jede neue Rennstrecke eine Überraschung. Für mich fühlte sich Suzuka wie eine europäische Strecke in Japan an, das war eine interessante Entdeckung.“
Heinrich kennt die Strecke in Suzuka
Im Vergleich dazu hatte Heinrich bereits die Gelegenheit, auf der Acht-förmigen Rennstrecke zu fahren, als er 2024 zur vierten Runde der Fanatec GT World Challenge Asia Powered by AWS-Meisterschaft in die japanische Präfektur Mie reiste.
„Das bedeutet mir sehr viel und ich bin total aufgeregt“, bekennt Heinrich. „Dieses Rennen war in der Vergangenheit ein grosser Endurance-Klassiker, der jetzt wiederbelebt wurde! Wie Henri weiss, ist Suzuka eine Strecke, auf der der Fahrer einen echten Unterschied machen kann, wie ich letztes Jahr bei der GT World Challenge Asia beweisen konnte. Das Rennen gehört sicher zu den besten Wochenenden meiner Karriere.“ Er habe sich gut vorbereitet und freue sich darauf, mit Alessio, Bastian und dem Origine Motorsport Team zusammenzuarbeiten, denen er voll und ganz vertraue.
„Es ist mir auch eine Ehre, die Lackierung von Henri und Bob Wollek aus dem Jahr 1981 auf unserem Auto zu sehen. Es ist immer ein gutes Vorzeichen, eine Lackierung zu verwenden, die eine erfolgreiche Geschichte hat! Wir wollen alle stolz machen und eine Leistung zeigen, die diesem unglaublichen Design würdig ist. Unser Ziel ist es, zu gewinnen, und ich glaube, dass wir dieses Ziel erreichen können“, sagt Heinrich.
„Toll, dass Geschichte für Porsche so wichtig ist“
Zur Lackierung fügt Pescarolo hinzu: „Am Ende meiner Karriere habe ich mich sehr für vielversprechende junge Fahrer interessiert, was mich auch heute noch fasziniert. Ich freue mich sehr, dass Laurin ein so grossartiges Auto fährt und das in unserer legendären Lackierung in Suzuka! Es ist eine brillante Idee, die Siegerfarben von 1981 auf dem Porsche 911 GT3 R zu haben. Für mich war Porsche schon immer ein fantastischer Konkurrent im globalen Sportwagenrennsport. Es ist toll zu sehen, dass Geschichte für einen so grossen Hersteller immer noch wichtig ist. Das zeigt, wie stolz sie auf das Erbe ihres Rennsports sind.“
Die beiden nehmen an dem Tisch in Pescarolos typisch französischem Esszimmer Platz. An den Wänden hängen verschiedene Gemälde und Fotografien, die in die beeindruckende Küche des 83-Jährigen führen. Über dem Ofen, den Pescarolo gerade zum Zubereiten des Mittagessens nutzt, hängen Töpfe und Pfannen. Man könnte meinen, er arbeite als Koch, wären da nicht die zahlreichen Motorsport-Erinnerungsstücke, die überall im Haus zu finden sind. Dazu gehören Bilder von Pescarolo in Aktion während seiner Formel-1-Zeit, ein Modell seines ersten Le-Mans-Siegerautos, das er sich 1972 mit dem legendären Graham Hill teilte, und drei Repliken im Massstab 1:18 von Pescarolo-Sportwagen, die in den 2000er-Jahren auf dem Circuit de la Sarthe fuhren.
Unterschiedliche Karriere-Wege
Das Gespräch wandert zu ihren jeweiligen Karrieren bei Porsche. Während Pescarolo bereits dreimaliger Le-Mans-Sieger, ein Formel-1-Podium besteigen konnte und Superstar der Sportwagenwelt war, fuhr Heinrich 2019 im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal für die Marke, nachdem er nur eine einzige Formel-4-Saison vorweisen konnte.
„Der Einstieg bei Porsche als Junior-Fahrer hat meine Karriere gerettet. Ich hatte die Chance, weiter Rennen zu fahren, was sonst unmöglich gewesen wäre“, sagt Heinrich. Porsche hat eine klare Karriereleiter, die bei der Sprint Challenge oder dem Carrera Cup beginnt und dann zum Supercup führt, wo der Hersteller nach Talenten sucht. „Schaffst du es in das jährliche Junior-Shootout mit den besten Fahrern aus dem Carrera Cup und sie wählen dich für die folgende Saison als Porsche-Junior aus, hast du alle Chancen, erfolgreich zu werden. Das war mein Plan, und ich war überglücklich, dass er mit der Auswahl für 2022 Wirklichkeit wurde. Porsche gab mir diese Chance, meinen Traum zu verfolgen und meinen Lebensunterhalt mit meiner Leidenschaft zu verdienen. Es war ein einzigartiger Weg, für den ich sehr dankbar bin, und ich hoffe, dass es eine langjährige und erfolgreiche Beziehung wird.“
Pescarolo erklärt, wie anders es für junge Fahrer war, als er selbst die Karriereleiter hinaufstieg: „Zu meiner Zeit war es unmöglich, vor dem Erwerb des Führerscheins etwas zu fahren, und es gab kein Kartfahren, sodass wir nicht wie heute in so jungen Jahren anfangen konnten. Als ich 16 war, nahm ich Flugunterricht und wollte Pilot werden. Ich durfte zwar legal kein Auto fahren, aber ich konnte Leute herumfliegen!“
Im krassen Gegensatz zu Heinrich begann Pescarolo sein Motorsportabenteuer im Alter von 22 Jahren, nur ein Jahr jünger als Heinrich heute ist. Nach Erfolgen in der französischen Formel 3 und Formel 2 stieg er in die Formel 1 auf, aber seinen Namen machte er sich ausserhalb der Einsitzer. „Ich hatte das Glück, in guten Teams im Sportwagenbereich zu fahren, aber in der Formel 1 war es schwieriger, da ich immer in einem Auto sass, das nicht gewinnen konnte. Als ich Ende der 1970er-Jahre zu Porsche kam, waren wir extrem konkurrenzfähig. Ich hätte mit Porsche dreimal die 24 Stunden von Le Mans gewinnen sollen, statt nur einmal, aber leider hatte unser Porsche 936 zweimal eine Panne. Ich erinnere mich an mein erstes Jahr bei Martini Racing 1977, als ich mir das Auto mit Jacky Ickx teilte. Wir waren unschlagbar und mussten nur noch das Rennen beenden, aber dann streikte der Motor und das war das Ende unseres Rennens. Nach einem weiteren Ausfall im folgenden Jahr zusammen mit Jacky und Jochen Mass war ich so glücklich, als ich 1984 endlich mit dem Porsche 956B von NewMan Joest Racing das Ziel erreichte.“
Heinrich: „Ich habe so viel Respekt!“
Auch wenn es in Heinrichs Karriere immer noch mechanische Probleme gibt, ist der Porsche 911 GT3 R doch viel zuverlässiger als die Autos, die Pescarolo fuhr. Auf die Frage, wie er sein Auto im Vergleich zu denen früherer Epochen einschätzt, antwortete Heinrich: „Ich kann es mir nur vorstellen! Ich weiss nicht, wie es sich anfühlt, diese verrückten Autos zu fahren, aber ich weiss, dass wir heutzutage viel mehr Unterstützung haben, dank Elektronik, Schaltwippen, ABS, zwei verschiedenen Traktionskontrollsystemen und einer Vielzahl von Daten, die uns bei der Analyse helfen. Der Wettbewerb ist nach wie vor hart, die Autos sind vielleicht leichter zu fahren, aber ich würde sagen, dass es nicht einfacher ist, zu gewinnen, sondern einfach ganz anders.“ Er schaut zu Pescarolo hinüber und fährt fort: „Ich habe so viel Respekt vor Ihnen und Ihren Konkurrenten, die diese Autos fahren! Ich würde gerne eines Tages die Kraft und die Schwierigkeit dieser Autos erleben, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich sehr schnell wäre!“
Pescarolo lacht, nickt mit dem Kopf und antwortet: „Wir hatten auch einen fantastischen Computer, um die Autos zu verstehen – unseren Hintern auf dem Sitz! Das war damals alles, was wir hatten, das Porsche-Chassis hat seitdem enorme Fortschritte gemacht. Ich erinnere mich an den Porsche 935, er hatte mehr als 800 PS, war eher ein Prototyp, ein reinrassiger Rennwagen, er sah nicht einmal wie ein Porsche aus, während die GT-Autos heutzutage eher auf den Strassenversionen basieren.“
Der pensionierte Rennfahrer erzählt Geschichten aus seiner Rennfahrerkarriere, von Siegen, Enttäuschungen und Unfällen, darunter einer aus seiner Zeit in der Formel 3, als in der Boxengasse bekannt gegeben wurde, dass sein Unfall tödlich war.
Heinrich ist fasziniert: „Ich könnte Henri den ganzen Tag zuhören. Diese Geschichten stammen aus einer Zeit, die ich nicht erlebt habe, aber ich bin immer daran interessiert, mehr über die Historie unseres Sports zu erfahren. Ich kann kaum glauben, dass sie diese Autos in Rennen wie Le Mans und Daytona bis an ihre Grenzen gebracht haben, mit nur zwei Fahrern pro Auto und bei jedem Wetter – Bedingungen, unter denen wir heute nicht mehr fahren würden. Ich hätte es gerne selbst erlebt, um zu sehen, wie es war. Ich kann viel davon mitnehmen, wenn ich Henri zuhöre, wie er über seine lange und erfolgreiche Karriere spricht.“
Ratschläge für das Rennen in Suzukua
Da Heinrich aufbrechen muss um seinen Flug zurück nach Deutschland zu erreichen, kommt das Gespräch wieder auf das bevorstehende Rennen in Suzuka zurück. Pescarolo gibt Heinrich einige weise Worte mit auf den Weg: „Laurin ist mit seinen 23 Jahren bereits sehr erfahren, er ist weltweit Rennen gefahren, was ihm bei seiner Entwicklung helfen wird, insbesondere auf einer Strecke wie Suzuka. Das Ziel eines Fahrers dort ist es, das Auto und sein Verhalten vollständig zu verstehen. Der Fahrer muss sich an die Grenzen des Autos anpassen und darf es nicht überfordern, was auch bei Langstreckenrennen sehr wichtig ist. Japan ist in Bezug auf den Motorsport anders als alle anderen Länder der Welt. Die Leidenschaft der Fans macht es zu einem ganz besonderen Ort, um ein Rennen zu gewinnen. Sehr besonders. Suzuka ist eine wunderschöne Strecke und sehr interessant zu fahren.“
Heinrich hört aufmerksam zu und stimmt zu: „Der Rennsport in Asien ist so dynamisch, einige der besten Rennstrecken der Welt befinden sich dort, und es war schon immer mein Traum, dort Rennen zu fahren. Insbesondere in Japan ist die Atmosphäre, wie Henri sagte, unglaublich, was mich noch mehr motiviert, erfolgreich zu sein.“
Der Porsche 911 GT3 R ist dafür die perfekte Basis. Heinrich hat damit einige grossartige Ergebnisse erzielt, darunter den Sieg bei den 12 Stunden von Sebring und den zweiten Platz bei den 24 Stunden in Daytona Anfang dieses Jahres.
„Ich habe so viel Zeit in diesem Auto verbracht, dass ich meinen Fahrstil an die Anforderungen anpassen konnte. Suzuka ist eine Strecke, die zu unserer Leistung passen sollte, aber wir wissen, dass es dennoch eine grosse Teamleistung sein wird“, erklärt er. „Kein Langstreckenrennen verläuft nach Plan, daher müssen wir eng mit dem Team zusammenarbeiten und alles tun, um durchgehend schnell zu sein."
Eine Wette zum Abschied
Nach dem Mittagessen neigt sich ihr gemeinsamer Nachmittag dem Ende zu. Pescarolo findet jedoch noch Zeit, ihm die Farm zu zeigen, wobei Heinrich besonderes Interesse an seinem Hubschrauber zeigt, den er immer noch regelmässig fliegt. Heinrich bekommt die Steuerung gezeigt und wird zu einem Flug eingeladen, aber da die Zeit knapp wird, muss er ablehnen.
Gerade als er ins Auto steigt, um zu gehen, schliessen die beiden eine Wette ab: Wenn Heinrich das 1000-km-Rennen von Suzuka gewinnt, kehrt er zu Pescarolos Farm zurück und die beiden werden mit Henris Hubschrauber in die Lüfte steigen.