Wenn in Europa die Hauptreisezeit endet, beginnt für eine verschworene Gemeinschaft von Extremsportlern rund 100 Kilometer nördlich von Lissabon die Hochsaison. Bei Nazaré, einem kleinen Fischerort am Atlantischen Ozean, tobt vor der Küste ein Naturspektakel.
Gigantische Wassermassen türmen sich auf und formen sich zu Wellen, die weltweit ihresgleichen suchen. Und wenn man die Augen ganz fest zusammenkneift, sind in der Ferne tatsächlich Menschen zu erkennen, die diese Monster mit maximalem Speed herunterrasen.
Big-Wave-Surfen ist eine der spektakulärsten Extremsportarten – und lockt Waghalsige aus aller Welt an die portugiesische Westküste. Sebastian Steudtner ist einer von ihnen. Seit zehn Jahren verbringt er hier die Wintermonate und ist auf der Jagd nach der perfekten Welle. Sein grösster Fang ging dem Deutschen im März 2024 ins Netz: hunderttausende Tonnen Gewicht und mit 28,57 Metern so hoch wie ein zehnstöckiges Gebäude – nie zuvor hat ein Mensch eine höhere Welle gemeistert. Eine Leistung, die lange als nicht menschenmöglich galt. Doch Steudtner träumt von mehr. Viel mehr. „Ich möchte die grösste Welle surfen, die wir finden können“, sagt der 39-Jährige mit verheissungsvollem Blick.
Wallfahrtsort seit dem Mittelalter
Wir treffen Steudtner an einem rauen Dezembertag oben am Leuchtturm, dessen ikonische Bilder bei jedem neuen Rekord um die Welt gehen. Vor 120 Jahren erbaut, thront das Bauwerk auf dem Forte de São Miguel Arcanjo. Die Festung wurde im Jahr 1577 auf das 110 Meter hohe Felsplateau gesetzt und garantiert beste Aussicht auf das Wellenspiel.
Im Innern findet sich ein Museum in mittelalterlichem Flair, ausgestellt sind faszinierende Fotografien der Wellenreiter, die den Ort im vergangenen Jahrzehnt berühmt gemacht haben. Und ihre Surfbretter. Als Steudtner mit seinem Porsche Taycan GTS vor der Festung hält, empfangen ihn die Mitarbeiter herzlich. Man kennt ihn hier, in Nazaré hat er sich ein zweites Leben aufgebaut. Oben zieht dichter Nebel auf, der Wind peitscht. Die wenigen Wellen, keine fünf Meter hoch, rollen gemächlich Richtung Praia do Norte. Das ist der langgezogene Sandstrand auf der Nordseite der Klippen. Nur ein paar Schaulustige verirren sich heute zu dem beliebtesten Aussichtspunkt der Region, die Strände sind menschenleer, denn grosse Wellen sind für die kommenden Tage nicht zu erwarten.
Im Sommer hingegen ist der Ort an der Costa de Prata, auch bekannt als Silberküste, eines der portugiesischen Urlaubsparadiese. Touristen tummeln sich an den Stränden, der Himmel strahlt blau, die Beachvolleyballplätze sind stets belegt. „Wenn wir aber einen Big-Wave-Tag haben, wird die Stadt auch im Winter überrollt“, berichtet Steudtner. „Bis zu 30.000 Menschen stehen dann hier oben. Es fühlt sich an, als würde man in einem Stadion surfen.“
Seitdem im Jahr 2011 eine kleine Gruppe von Surfpionieren den Spot entdeckte und die Bilder der portugiesischen Monsterwellen von nun an alljährlich um die Welt gingen, ist Nazaré für sein Naturspektakel berühmt. Auch damals schon mit dabei: Sebastian Steudtner. Und viele andere folgten. Doch Pilger reisen schon seit dem Mittelalter hierher. Sie kommen, um die Madonnenstatue in der Kirche Nossa Senhora da Nazaré zu bestaunen. Bis zum 19. Jahrhundert entwickelte sich Nazaré durch die hölzerne Skulptur zu einer bedeutenden Wallfahrtsstätte. Der Legende nach wurde das Santuário de Nossa Senhora da Nazaré – das „Heiligtum Unserer Frau von Nazareth“ – einst im biblischen Nazareth geschnitzt und verlieh dem Ort im Jahr 1912 so seinen Namen. Früher himmlische Verehrung, heute maritime Urgewalten – seit nunmehr 800 Jahren übt Nazaré auf die Menschen eine besondere Anziehungskraft aus.
Der Traum vom Unmöglichen
Vor einem Vierteljahrhundert hat sich Sebastian Steudtner vollends seiner Leidenschaft verschrieben. Er träumte vom vermeintlich Unerreichbaren. Je grösser die Zweifel in seinem Umfeld, desto grösser sein Wille, es durchzuziehen. Aufgewachsen in Nürnberg, also rund 500 Kilometer vom Meer entfernt, war das Surfen sicher nicht die naheliegendste Option. Doch als er mit neun Jahren das erste Mal auf einem Board stand, entwickelte er den kühnen Plan vom Profisport. Im Alter von 13 Jahren las er in einem Magazin von einem Surfinternat auf Hawaii. Und sein Traum nahm Form an.
„Als ich meiner Familie davon erzählte, haben sie zunächst ganz logisch reagiert: gestern Feuerwehrmann, heute Astronaut, morgen Surfer. Ich war mit meiner Vision allein und musste früh lernen, dass ich meine Ziele auch nur allein realisieren kann.“ Doch seine Eltern liessen ihn letztlich ziehen, also ging er mit 16 Jahren nach Maui. Der Erfolg kam schnell, Steudtner wurde Windsurfer, fand Sponsoren und qualifizierte sich im ersten Jahr gleich für den Weltcup. Dann folgte ein Erweckungserlebnis.
„Ich sah die Wellen brechen, die die Einheimischen Pe’ahi nennen. In dem Moment war für mich klar: Ich werde Big-Wave-Surfer.“ Pe’ahi, auch bekannt unter dem Namen Jaws, galt zu der Zeit als absolute Königsdisziplin in der Szene. Doch Steudtner traf auf Widerstände. Die Sponsoren zogen sich vom einen auf den anderen Tag zurück. „Die einhellige Meinung war, dass ein Deutscher in diesem Extremsport niemals erfolgreich sein wird.“ Wieder liess er sich von seiner Vision nicht abhalten, arbeitete als Poolbauer, um sich seinen Traum zu finanzieren. Und dann, 2010, surfte er in Jaws einen 20,10 Meter hohen Brecher – und erhielt dafür den XXL Global Big Wave Award für die grösste Welle der Saison. Nach neun Jahren auf Hawaii zählte er in seiner Disziplin nun zu den Besten der Welt. Und dann machte plötzlich die kleine portugiesische Stadt mit rund 10.000 Einwohnern von sich reden.
Ein Ort der Extreme
Zurück in Nazaré, der Nebel weicht vereinzelten Sonnenstrahlen, die Aussicht vom Miradouro do Suberco gibt den Blick frei auf die roten Dächer der Stadt. Ist es hier windig und grau, muss man an manchen Tagen nur wenige Kilometer ins Landesinnere fahren, schon ändert sich die Farbgebung: Sonne satt und azurblaue Aussicht. Nazaré ist ein Ort der Extreme – zu Lande wie auf dem Wasser.
Die Stadt teilt sich auf in zwei Ortsteile. Oben auf dem Felsmassiv liegt Sítio, das historische Zentrum. Unten, auf der Südseite, findet sich der moderne Ortskern, in dem heute der Grossteil der Bevölkerung lebt. Verbunden werden die beiden Stadtteile durch eine Bergbahn. Der Aufzug von Nazaré überwindet die 318 Meter lange Strecke und 42 Prozent Steigung spielend und fährt die Passagiere seit 1889 bequem auf den Berg. Wer sich sportlich betätigen möchte, nimmt die Treppen.
Wir fahren mit Steudtner im Taycan GTS hinunter in die Stadt. „Für mich ist es das perfekte Fahrzeug“, sagt er auf dem Weg dorthin. „Ich kann problemlos drei Surfbretter und zwei Freunde einladen und zum nächsten Strand fahren. Über die Dynamik brauchen wir gar nicht erst zu reden.“ Als wir unten ankommen, erwartet uns das gemächliche Treiben der Nebensaison, wir schlendern durch bunt geschmückte Gassen, bestaunen die typisch portugiesischen Kachelhäuser und geniessen im Café Augusta Galão und Pastéis de Nata – Milchkaffee und Puddingteilchen. Das kulinarische Pflichtprogramm bei einer Portugalreise. Die Strassen sind steil, erinnern an die Hauptstadt Lissabon – und sie führen alle hinunter zum Praia da Nazaré. Entlang der knapp anderthalb Kilometer langen Promenade reihen sich Eisdielen, Cafés, Souvenirshops und Hotels aneinander. Immer im Blick: der mittlerweile wohl berühmteste Leuchtturm Europas.
Am Strand erinnern bunte Boote an die Tradition, die auch Steudtner immer wieder hervorhebt. „Neben den Wellen ist der Fisch das Beste, das dieser Ort zu bieten hat“, betont er. „Das Ceviche in der Taverna do 8 ó 80 ist ein absoluter Genuss.“ An manchen Tagen lässt sich auch beobachten, wie Fische auf Gittersieben in der Sonne am Strand getrocknet und danach auf dem Markt verkauft werden. Und noch heute fallen einem die Fischerfrauen in traditioneller Kleidung ins Auge. Früher, wenn ihre Männer hinaus aufs Meer zogen, kleideten sie sich in sieben übereinander liegenden Röcken, für jeden Wochentag einen. Sie spazieren die Promenade entlang und sind gleichzeitig Symbol für die reichhaltige Tradition, die bis heute in Nazaré weiterlebt. Der Fischfang war schon immer die Quelle des Überlebens. Und damit auch der Atlantik – inklusive der Gefahr, die dort draussen auf hoher See lauert. Nicht umsonst trägt die Sandbank vor der Küste einen furchteinflössenden Namen: die Bank, die Witwen macht.
Kaum einer kennt diese Gefahr so gut wie Sebastian Steudtner. Aber er kennt nicht die Angst. „Man muss seine Hausaufgaben erledigen“, macht er deutlich. „Die Tage vor einer grossen Welle bedeuten immer Stress. Sind die Jetskis getankt, sind die richtigen Schrauben im Board, haben alle ihren Flug bekommen, sind die Ärzte für den Notfall vor Ort? Aber sobald wir den Hafen verlassen, fühle ich Ruhe. Und wenn ich das Seil loslasse, in die Welle surfe, ist es für mich die komplette Befreiung.“ Einmal wurde er derart vom Brett gerissen und unter Wasser gedrückt, dass er danach Apnoetauchen trainierte, um beim nächsten Mal besser vorbereitet zu sein. Heute hält er unter Wasser bis zu sechs Minuten die Luft an. „Im Ruhemodus“, betont er. „Wie es bei einer grossen Welle aussieht, ist abhängig von der Gesamtsituation.“
Grand Canyon unter Wasser
Am Nachmittag erreichen wir den Fischereihafen am südlichen Ende der Promenade. Surfschulen bieten Kurse an und verleihen sämtliches Equipment, im Atlantic Safaris können Bootstouren zur Delfinbeobachtung gebucht werden, an den Liegeplätzen dümpeln die alten Kutter. Und hier liegt Steudtners Basis, hier lagern die Jetskis, hier bereitet er sich vor. Hier startet er seine temporeichen Aktionen.
Wie beim sogenannten Tow-in-Surfen üblich, verlässt er dann mit einem Jetski, einem Fahrer und seinem Board den Hafen und lässt sich in die Wellen ziehen. Wann der Swell kommt – so nennt sich der Vorgang, wenn weit draussen auf dem Meer aus mehreren kleinen wenige grosse Wellen entstehen –, weiss man meist erst wenige Tage vorher. Sind die Prognosen gut, bereitet sich das rund 17-köpfige Team vor. Mit dabei sind zahlreiche Helfer, vom Mechaniker über mehrere Jetski-Fahrer bis hin zum Arzt für den Notfall. Dass die Wellen gerade in Nazaré diese spektakulären Dimensionen annehmen, liegt an einer geologischen Besonderheit, die nicht sichtbar ist. Direkt hinter dem Leuchtturm liegt ein rund 230 Kilometer langer und fünf Kilometer tiefer Unterwassergraben – halb so lang und mehr als doppelt so tief wie der Grand Canyon. Bilden sich auf dem Ozean heftige Stürme, treffen die Wassermassen auf die beinahe rechtwinklige Klippe der Schlucht – und die Wellen türmen sich auf.
In der Saison zwischen Oktober und März gibt es von den sogenannten Monsterwellen gerade mal eine Handvoll. Dann werfen sich die Big-Wave-Surfer in ihre Neoprenanzüge, um vor dem rund 15 Grad Celsius kalten Wasser geschützt zu sein – und lassen sich hinaus auf den Atlantik ziehen. „An grossen Tagen sind dann vielleicht 15 Surfer gleichzeitig auf dem Wasser“, berichtet Steudtner. Weltweit gibt es nicht viel mehr Menschen, die es mit den stahlgrauen Ungeheuern jenseits von 20 Metern Höhe aufnehmen können.
Doch Steudtner will mehr. Bis zu 50 Meter hoch können die Brecher in Nazaré schätzungsweise wachsen. Genau weiss es auch der Profi nicht, denn bisher wurden die Wellen zwar genau nachgemessen, jedoch händisch anhand von Fotos, ein langwieriger Prozess. Die Bestätigung eines früheren Weltrekords von 2020 liess ebenso rekordverdächtige zwei Jahre auf sich warten. „Wir fangen jetzt aber an, die Höhe wissenschaftlich zu ermitteln“, berichtet er. Seit kurzem surrt an grossen Tagen eine von Porsche Engineering entwickelte Messdrohne über dem Atlantik – und liefert nach 30 Minuten präzise Ergebnisse. Vor rund drei Jahren hat er zusammen mit Porsche Engineering das erste gemeinsame Projekt ins Leben gerufen: Mission Wave Alpha. Der Ansatz: Um noch grössere Wellen zu meistern, muss er auf dem Brett schneller als die 80 km/h werden, mit denen er bei seinem Weltrekord unterwegs war.
Mit wissenschaftlichen Methoden wurden das Verhalten des Surfboards im Wasser, also die Hydrodynamik, sowie die Aerodynamik von Board und Surfer optimiert. Das Equipment wurde verbessert und Steudtner hat seine Haltung perfektioniert. Jetzt könnten Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h möglich sein. Das neue Board trägt den Namen Caçador RS – Portugiesisch für „Jäger“.
Steudtner hat sich in Nazaré perfekt eingerichtet. In seinem Winterdomizil oben am Hang gibt es alles, was für Training und Regeneration nötig ist. Und wenn er will, ist er innerhalb von zehn Minuten am Wasser. „Nazaré ist mittlerweile ein kleines Stück Zuhause“, sagt er und schwenkt den Blick Richtung Leuchtturm. „Ich habe viele Freunde hier gefunden, habe ein Muay-Thai-Gym, in dem ich viel trainiere, entdecke immer wieder neue Mountainbike-Trails und geniesse die Zeit in den vielen guten Restaurants.“ Und natürlich die Zeit auf dem Wasser. Dort liegt wohl seine wahre Heimat. Ob jemand wie er noch Träume abseits der Wellen hat? „Klar“, sagt Steudtner und lächelt. Dann steigt er in seinen Taycan und fährt hinauf in die Hügel.
Reisetipps für Nazaré
Praia do Norte
Auf der Nordseite des imposanten Felsplateaus in Nazaré zieht sich über mehrere Kilometer der Praia do Norte. An gewissen Tagen rollen die Wellen genau auf den Sandstrand zu. Der Abschnitt ist unbewacht und vor allem bei Surfern sehr beliebt. Zum Schwimmen oder Baden gilt er jedoch als zu gefährlich.
Marina da Nazaré
Am südlichen Ortsende liegt der alte Fischereihafen. Wassersportbegeisterte finden hier alles, was sie für ihr Hobby benötigen: ob Bootstouren, den Verleih von Surfequipment oder die Vermietung von Jetskis. Auf dem Hafengelände hat auch Steudtner Lagerräume für sein Material. Mit etwas Glück lässt sich hier beobachten, wie der Weltrekordhalter zu seiner nächsten Mission startet.
Farol da Nazaré
Ob grosse Wellen oder ruhige See: Ein Ausflug zum Leuchtturm ist Pflicht. Von dort ist die Aussicht spektakulär und drinnen dreht sich ebenfalls alles ums Surfen. Dort befindet sich ein kleines Museum mit Boards und Fotografien. Darüber hinaus kann man sich umfangreich über die geologischen Besonderheiten vor Ort informieren.
Weitere Informationen:
Gemeinsam mit der Porsche-Technologietochter Porsche Engineering hat Sebastian Steudtner, aktueller Weltrekordhalter im Big-Wave-Surfen, in den vergangenen zwei Jahren sein Surfboard wissenschaftlich analysiert und deutlich optimiert. Das Board mit dem Namen „Caçador RS“ wurde im portugiesischen Cascais erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Erfahren Sie hier mehr.
Info
Text erstmals erschienen im Christophorus Magazin, Ausgabe 410
Autor: Matthias Kriegel
Fotos: Olaf Heine
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