1995 nahm Antonia Belcher ihren ersten Porsche in Empfang– einen 993 911 Carrera 2 in lapisblau. Ein bedeutender Moment für die ambitionierte und erfolgreiche Immobilienexpertin und der Beginn einer lebenslangen Verbindung mit der Marke. Im Laufe der Jahre standen Antonia allerdings noch weit bedeutendere Momente bevor. Momente, die sie durch Zeiten von Herzschmerz und Selbstfindung bis zu einer Begegnung mit dem König von England auf Schloss Windsor führten.
Antonias Leidenschaft für Autos erwachte schon früh, als sie im Alter von 17 Jahren gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder einen klassischen Mini modifizierte. In Kontakt mit der leistungsfähigen deutschen Automobiltechnik kam sie durch eine Reihe von Firmenwagen. „Mitte der 90er Jahre hatte mich seit einiger Zeit die Idee nicht losgelassen, einen Porsche zu besitzen, und mein erster war ein 993 Carrera 2, der von der Immobilienfirma, für die ich arbeitete, geleast war“, erklärt sie. „Ein fantastischer Wagen, lapisblau mit hellblauem Innenraum, der mir die Augen erst so richtig für Porsche geöffnet hat.“
Acht Porsche umfassende Flotte
Antonia fuhr diesen Wagen drei Jahre lang, bevor sie in rascher Folge von einem 996 C4 über einen C4S zu einem basaltschwarzen 996 Turbo S mit Sechsgang-Schaltgetriebe wechselte. Von letzterem wurden weniger als 60 Stück mit Rechtslenkung ausgeliefert. Der Wagen gehört ihr heute noch. Später kam das erste von mehreren GT-Modellen hinzu – in eine beneidenswerte Sammlung, zu der heute ein 991 GT3, ein 991 GT3 RS der ersten und der zweiten Generation sowie ein aufsehenerregender 700 PS starker GT2 RS in indischrot mit Weissach-Paket gehören. Den vorläufigen Abschluss der acht Porsche umfassenden Flotte bilden ein seltener, nur in den USA vertriebener luftgekühlter 912E, Baujahr 1976, ein 996 GT2, Flaggschiff der Nullerjahre, und ein 718 Spyder, der seine Sonderstellung als Mittelmotormodell in Kürze mit einem indischroten GT4 RS teilen wird.
„Ich liebe es, alle meine Autos zu fahren und ergreife jede Gelegenheit, mich ans Lenkrad zu setzen“, meint Antonia. „Allerdings habe ich da keine festgelegte Reihenfolge. Es hängt für gewöhnlich davon ab, wonach mir an dem Tag gerade der Sinn steht. Da wir das Glück haben, ein Haus in Süditalien zu besitzen, fahre ich ziemlich oft dort hinunter und die meisten meiner Porsche haben diese Tour absolviert.“
Antonia unternimmt auch gern die jährliche Pilgerfahrt nach Le Mans, beteiligt sich an Oldtimer-Rallyes in Grossbritannien und testet die Grenzen aller ihrer GT-Fahrzeuge an den „Track Days“ im Porsche Experience Centre Silverstone. Es gab aber auch eine Zeit, in der solche Abenteuer kaum Platz fanden, als Antonias eigene Work-Life-Balance ein alles verzehrender psychischer Kampf war.
Denn mit Anfang 40, als erfolgreicher Partner in einem vielbeschäftigten Londoner Immobilienunternehmen, lebte Antonia noch als Anthony, glücklich verheiratet und Vater von drei Kindern.
Enthüllte nach und nach die Person, die zu Antonia werden sollte
„Ich erkannte schon sehr früh, dass meine geschlechtliche Identität nicht ganz eindeutig war“, erklärt Antonia in ihrem Zuhause in Südengland. „Aber ich kam aus einem konventionellen Elternhaus, mein Vater war Bauarbeiter und ich dachte, dass ich nicht über meine Sorgen sprechen konnte – also behielt ich sie einfach für mich.“
Um mit ihrer Verwirrung und Besorgnis fertig zu werden, stürzte sich Antonia in die Arbeit. Sie machte Überstunden im Büro und konzentrierte sich auf das Geschäft, um die anderen Gedanken, die sie nicht verarbeiten konnte, aus ihrem Kopf zu verbannen. Ironischerweise brachten ihr die beruflichen Erfolge jedoch mehr Zeit zum Nachdenken. An diesem Punkt wurde Antonia klar, dass sie ein tief verwurzeltes Unglücklichsein unterdrückte. „Ich kam plötzlich ins Nachdenken über meine eigene Sterblichkeit und über diese Person, die ich in mir versteckt hielt. Jemand, den ich im Grunde jahrelang weggesperrt hatte.“
Sie begann zum ersten Mal, dem weiblichen Teil ihrer Persönlichkeit nachzuspüren und enthüllte nach und nach die Person, die später zu Antonia werden sollte. Nachdem sie jahrelang ein Doppelleben geführt hatte, sich an den Abenden verwandelte und bei der Arbeit und an den Wochenenden wieder zu „Anthony“ wurde, beschloss Antonia, ihrer Partnerin Andrea und ihren Kollegen die Wahrheit zu sagen. Anthony wurde zu Antonia und damit änderte sich alles.
Nach fünf weiteren Jahren in ihrer Firma gab Antonia bekannt, dass sie sich selbstständig machen würde. Als Reaktion auf diese Nachricht entschloss ihr gesamtes 19-köpfiges Team, mit ihr zu gehen. „Das war ein unglaublicher Moment“, meint sie heute, „weil alle, mit denen ich so eng zusammengearbeitet hatte, mit mir kommen und mich auf meinem nun eingeschlagenen Weg begleiten wollten. Das hat uns alle motiviert und es war eine starke Botschaft für Authentizität, darüber, du selbst zu sein.“
Im Jahr 2010, aufgebracht über den Umgang mit Transgender-Fragen in den Medien, beschloss Antonia, ihre Geschichte erstmals öffentlich zu machen. Um zu zeigen, dass es möglich ist, die Transition mit der Liebe und Akzeptanz der Familie, Freunde und Kollegen glücklich zu vollziehen. Bald darauf hielt sie Vorträge und wurde als Rednerin von den verschiedensten städtischen Unternehmen eingeladen. Gleichzeitig sprach sie mit den Eltern von Trans-Kindern und mit der Trans-Community selbst.
„Ich fing an, mit Unternehmen darüber zu reden, dass sie das Bewusstsein für Transgender stärken sollten“, erzählt Antonia. „Denn wenn ein Prozent der Erwerbstätigen dieser Gruppe angehören, wird man in einem Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten mehrere Leute finden, die nicht ihr volles Potenzial ausschöpfen, weil sie nicht ihr wahres Selbst sind. Wir müssen lernen, Unterschiede nicht zu stigmatisieren – ob es sich um LGBTQ, Rasse oder Religion handelt“, fährt sie fort.
Mit dem Order of the British Empire geehrt
Nach mehreren Jahren, in denen Antonia Vorträge hielt, wurde sie für ihr Engagement für Gleichstellung in der Wirtschaft mit dem OBE, dem Order of the British Empire, geehrt. Diese renommierte Auszeichnung wurde ihr im Februar von König Charles III in einer feierlichen Zeremonie auf Schloss Windsor verliehen. In der Zwischenzeit gründeten Antonia und ihre Partnerin ausserdem eine Stiftung, den „Antonia & Andrea Belcher Trans Fund“, die sich das Ziel gesetzt hat, das Bewusstsein für Trans-Communities weltweit zu stärken und diese auch finanziell zu unterstützen.
Zwischen ihren öffentlichen Verpflichtungen und der karitativen Tätigkeit kann es für Antonia schwierig werden, Zeit für ihre geliebte Porsche-Sammlung zu finden. Wobei der Gedanke an eine Spritztour nie weit weg ist. „Es gibt so viele Touren, die ich machen möchte“, meint sie. „Ich würde sehr gern einmal die Mille Miglia mitfahren und eine Oldtimer-Rallye wie Peking–Paris wäre eine tolle Sache. Ein Freund und ich spielen tatsächlich ernsthaft mit dem Gedanken. Autofahren bedeutet für mich Freiheit“, fügt sie hinzu, „die Freiheit, dorthin zu fahren, wo immer ich will. Aber ich betrachte diese Autos auch als Kunstwerke und es gibt mir jedes Mal einen Kick, einfach nur in einem von meinen Porsche zu sitzen. Ich bin noch nicht ganz so weit, sie ins Wohnzimmer zu stellen, aber ein kleiner Anstoss würde vielleicht schon genügen.“
Weitere Informationen über den Antonia and Andrea Belcher Trans Fund finden Sie hier.