Wenn Marco Marinello einmal zu erzählen beginnt, vergisst man die Zeit. Seine Geschichten sind gut, witzig, charmant – etwa, wie er mit 17 Jahren zwar schon einen Porsche 356 besass, allerdings noch keinen Führerschein. Er fuhr selbstverständlich trotzdem mit dem Sportwagen quer durch Zürich zu seiner Ausbildung zum Kaufmann. Er lacht: „Das Ding war schon ziemlich verrostet. Aber es hatte das VDM-Lenkrad aus einem Carrera GT, das alleine wäre heute 10.000 Franken wert.“ Und was hatte er für dieses Fahrzeug bezahlt? „Zwei Sommer lang bei meinem Schwager Rasen mähen.“
Und dann erzählt er von all den Porsche 356, die er als junger Mann den Bauern abkaufen konnte, teilweise für 50 Franken, manchmal nur für einen Kaffee und ein Croissant, weil die Fahrzeuge schon jahrelang auf der Weide herumstanden und vor sich hinrosteten, völlig am Ende waren. Ab 1975 war das Abstellen dieser Rostlauben auf unbefestigtem Grund in der Schweiz verboten, die Landwirte mussten ihre Altlasten loswerden: „Keine Ahnung, wie viele 356 ich ausgeschlachtet habe, bestimmt so 50 Stück“, erzählt er weiter. „Nie lernt man ein Fahrzeug besser kennen, als wenn man es für noch brauchbare Ersatzteile komplett zerlegt.“
Die Geschichte des Marco Marinello nimmt dann noch einige Umwege über den Gemüsehandel, Kanada und Mexiko, wo er seine zukünftige Frau Carol kennenlernt, bis er mit Elevenparts zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für klassische Porsche wird. Wir schreiben Anfang, Mitte der 1970er-Jahre. Marinello übernimmt neben dem Job im Familienbetrieb die europäische Vertretung des amerikanischen Porsche-Teile-Händlers Stoddard. Chuck Stoddard soll dann für Porsche eine Klassiker-Abteilung aufbauen, PSP, Porsche Special Products. Marinello, der ein halbes Dutzend Sprachen spricht, ist auch da mittendrin, mit ganz nahem Kontakt zu den Gründerfamilien. Das Projekt verläuft sich, aber Marinello ist schon zu sehr dabei, als dass er wieder in seinen angestammten Beruf zurückwill. Aus einer Leidenschaft wird eine Berufung. Zum Glück für die Porsche-Gemeinde, denn Vieles, was bei Elevenparts im Lager ist, gibt es nur genau dort.
Umfassende Sammlung
1975 fährt Marinello zum ersten Mal zum Oldtimer Grand Prix auf dem Nürburgring. Dort trifft er auf einen schwedischen Journalisten (natürlich kann er sich an dessen Namen erinnern), der mit einer Mappe unter dem Arm herumirrt. Man kommt ins Gespräch, der Schwede will Porsche-Prospekte und -Literatur verkaufen. Da kommt man auch ins Geschäft – und Marinello ist infiziert. „Das Sammeln ist eine Sucht“, sagt er in seinem Büro, in dem Hunderte, vielleicht auch ein paar Tausend Porsche-Bücher stehen. Man staunt, dass es so viele Bücher zu nur einer Marke geben kann. Dazu kommen ein paar Laufmeter Verkaufs- und technische Literatur. Und Hunderte von Modellen, in allen nur erdenklichen Massstäben. Fotos, Poster, Kunst.
Und dann ist da natürlich seine Sammlung der Christophorus-Hefte. Das Porsche-Kundenmagazin feierte gerade die 400. Ausgabe und seinen 70. Geburtstag. 15 Jahre dauerte es, bis Marinellos Sammlung komplett war. Klar, die ersten vier Ausgaben waren am schwierigsten aufzutreiben, kosteten am meisten Geld. Oder Aufwand im Tauschhandel.
Marinello müsste unbedingt seine Memoiren schreiben: Sein Wissen ist unfassbar gross.
„Am seltensten ist wohl die dritte Ausgabe“, erklärt er. „Die ersten zwei Ausgaben wurden damals von den Porsche-Händlern noch fleissig gratis an die Kundschaft verteilt. Aber kaum jemand hat gemerkt, dass es ab der dritten Ausgabe ein bezahltes Abonnement brauchte. Deshalb ging diese Nummer dann etwas unter. Porsche musste sicher irgendwann ein paar Tausend Exemplare wegschmeissen, weil niemand sie wollte.“
Selbstverständlich hat Marco Marinello auch die Nummer 3. Schön säuberlich zusammen mit den anderen frühen Ausgaben zu einem imposanten Buch gebunden. Fadenheftung, Ledereinband, Goldprägung: „Das habe ich mir in einer Tessiner Strafanstalt auf Mass fertigen lassen.“ Er kann sich sogar noch erinnern, was er dafür bezahlt hat. 1962 änderte Christophorus das Format, Marinello brauchte neue Einbände. Ab der Ausgabe 236 im Jahr 1992 dann werden die Hefte in den offiziellen Schubern von Porsche aufbewahrt. „Nur die deutschen Ausgaben, alles andere würde zu weit führen“, sagt er. Bei den Prospekten sieht er das anders, vor allem bei den frühen Exemplaren (am liebsten noch aus Gmünd – einem weiteren Spezialgebiet Marinellos); da will er alles haben, jede Sprache, jede Druckversion, jede Motorvariante. Das mit der Sucht ist halt so eine Sache.
Und selbstverständlich kann sich der Sammler auch an die frühen Macher von Christophorus erinnern: Huschke von Hanstein, der zwischen 1952 und 1968 bei Porsche Leiter der Öffentlichkeitsarbeit (und Rennleiter) war, und Richard von Frankenberg, dem eigentlichen Kopf hinter Christophorus, Chefredaktor von 1952 bis 1973. „Das spürt man in den frühen Ausgaben, die zwei Herren hatten sich mit dem Heft eine wunderbare Spielwiese für ihre Leidenschaften erschaffen.“ Marinello hat sich nicht immer gefreut auf das nächste Heft, „es gab da schon schwache Jahre“, aber in letzter Zeit ist er wieder zufrieden, er empfindet auch die Länderausgaben als eine Bereicherung.
Der Alleswisser
Marinello ist nicht so sehr ein Ordnungsfanatiker, mehr ein wandelndes Lexikon. Er weiss genau, welches Buch wo ist, welches Modell er noch preisen will, in welcher Ausgabe des Christophorus sich jenes Bild befindet, das er gerne noch zeigen möchte.
Der Schweizer könnte sicher auch in der Fernsehsendung „Wetten, dass..?“ auftreten, sein Gedächtnis ist phänomenal. Das macht Marinello aber auch zu so etwas wie dem guten Gewissen in Sachen Porsche-Historie – er kennt die aussergewöhnlichen Fahrzeuge, die Chassisnummern sowieso, meist auch gleich noch die Rennerfolge und die entsprechenden Piloten. Und er weiss natürlich in der Regel, wie er diese Fakten belegen kann. Obwohl Marinello ein wahrer Gentleman und sehr zurückhaltend ist, wird er für sein unfassbares Wissen nicht nur bewundert, sondern auch gefürchtet. Diskussionen mit ihm über genau dieses oder dann auch jenes Fahrzeug sind nicht ausufernd, er weiss sehr genau, was Sache ist. Er ist kein Besser-, sondern der Alleswisser.
Und so vergeht Stunde um Stunde, es kommt noch diese Anekdote, es kommt noch jene Geschichte. Marinello hat etwas zurückgeschraubt, aber seine Firma Elevenparts ist natürlich immer noch eine zentrale Anlaufstelle, was Porsche-Ersatzteile betrifft; ganz besonders dann, wenn es um besonders seltene Stücke geht. Marco Marinello müsste unbedingt seine Memoiren schreiben, sein Wissen ist unfassbar gross, es darf nicht verlorengehen.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Magazin Christophorus, Nr. 403.
Copyright: Alle in diesem Artikel veröffentlichten Bilder, Videos und Audio-Dateien unterliegen dem Copyright. Eine Reproduktion oder Wiedergabe des Ganzen oder von Teilen ist ohne die schriftliche Genehmigung der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG nicht gestattet. Bitte kontaktieren Sie newsroom@porsche.com für weitere Informationen.