Vor der Porsche-Verwaltung in Stuttgart ist es deutlich ruhiger als üblich. Viele Parkplätze sind verwaist, die verschärften Home-Office-Regeln sorgen für leere Büros. Porsche-Chef Oliver Blume bittet trotzdem zum Gespräch in der Zentrale – in einem grossen Besprechungszimmer im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes und mit frischer Luft, viel Abstand und Masken.
Herr Blume, mit dem Taycan hat Porsche im vergangenen Jahr mit der Elektrifizierung begonnen. Wie geht es jetzt weiter?
Oliver Blume: Wir haben einen Marathon vor uns, der Transformation heisst. Mit dem Taycan haben wir unseren ersten grossen Schritt gemacht, in den kommenden Jahren folgen weitere. Der vollelektrische Macan wird der nächste grosse Meilenstein sein. Im Jahr 2025 werden rund 50 Prozent unserer ausgelieferten Autos elektrisch angetrieben sein. Davon sollen die Mehrheit vollelektrische Sportwagen sein, der übrige Teil sportliche Plug-in-Hybride.
Wie sieht Ihre aktuelle Elektrobilanz aus?
Blume: Eindeutig positiv. In Europa haben wir im vergangenen Jahr bereits ein Drittel unserer Autos elektrifiziert ausgeliefert, davon je zur Hälfte vollelektrisch und als Hybrid. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Anstieg von 60 Prozent – unsere Elektrostrategie geht auf. Uns ist es gelungen, die Porsche-typische Sportlichkeit auf die neuen Elektromodelle zu übertragen. 20.000 Taycan wollten wir im Jahr 2020 verkaufen und haben dieses Ziel trotz Corona erreicht. Die Rückmeldungen von Kunden und Experten sind sehr positiv. Wichtig ist es, das Fahrzeug zu erleben.
Was ist auf längere Sicht bis 2025 geplant?
Blume: Für uns steht die Exklusivität unserer Sportwagen im Vordergrund. Stückzahl ist keine relevante Grösse. Es ist aber kein Geheimnis, dass wir irgendwann mehr als 300.000 Autos pro Jahr verkaufen werden. Ohne Corona hätten wir das wahrscheinlich schon 2020 schaffen können. Wir haben uns aber zugleich eine Marktobergrenze gegeben: Porsche hatte immer einen Weltmarktanteil von etwa 0,3 Prozent, daran wollen wir uns auch künftig orientieren.
„Für uns steht die Exklusivität unserer Sportwagen im Vordergrund. Stückzahl ist keine relevante Grösse." Oliver Blume
Das E-Modell Taycan findet nach Ihren Worten reissenden Absatz. Reicht denn die Kapazität in Stuttgart?
Blume: Aktuell können wir flexibel mehr als 30.000 Autos produzieren. Am Ende werden die Kunden mit ihren Bestellungen entscheiden, wie viele Autos es werden.
Mit Tesla wollen Sie sich nicht vergleichen?
Blume: Ich finde die Entwicklung von Tesla beeindruckend. Elon Musk ist ein cooler Typ und toller Unternehmer. Tesla fährt eine andere Strategie und will hohe Stückzahlen erreichen. Deshalb entstehen überall auf der Welt neue Fabriken. Porsche bleibt bei seiner Exklusivität und kleineren Stückzahlen. Wir erfüllen unseren Kunden individuelle Träume.
Konkurrenten sind Sie aber schon. Haben Sie mit dem Taycan Tesla-Kunden gewonnen?
Blume: Das ist uns gelungen. Als wir unseren Taycan entwickelt haben, war Tesla jedoch nicht der Massstab. Wir haben uns an unseren eigenen Produkten orientiert. Für uns galt die Richtschnur: ein Elektro-Porsche muss sich fahren wie ein 911. Darauf können sich unsere Kunden freuen.
Als Teil von Volkswagen hat Porsche auch eine höhere Schlagkraft als Tesla. Verwunderlich ist aber, dass der Konzern gleich zwei Dutzend verschiedene Formate für Batteriezellen nutzt. Wie kann so ein Durcheinander passieren?
Blume: Wir haben aktuell sehr viele Batterievarianten und haben diese bereits im Blick. Man muss bedenken: Als wir mit den Planungen der E-Autos vor ein paar Jahren begannen, da fehlte Erfahrung in dieser Technologie und es gab unterschiedliche Ansätze. Mit dem Wissen von heute schauen wir in die Zukunft und kommen zu den passenden Schlüssen.
Was heisst das genau?
Blume: Für den Volkswagen-Konzern vereinheitlichen wir das geometrische Batterieformat mit unterschiedlichen Leistungsspektren, die sich über die Chemie im Inneren der Zelle differenzieren. Die Basis wird eine kostenoptimierte Volumenzelle sein, dazu kommen eine Leistungs- und eine Hochleistungszelle für das Spitzensegment. Porsche engagiert sich vor allem bei hohen Leistungs- und Energiedichten für besonders sportliche Fahrzeuge. Die Zelle ist der Brennraum von morgen.
Wann soll das umgesetzt sein?
Blume: Ein Zeitraum von fünf Jahren ist realistisch für die Umsetzung dieses Konzepts, entsprechende Richtungsentscheidungen haben wir getroffen. Und machen wir uns nichts vor: Bei den Batteriezellen gibt es in den kommenden Jahren eine grosse Herausforderung zu meistern, weil branchenweit Kapazitäten fehlen.
Wie hat sich die Rolle von Porsche im gesamten VW-Konzern entwickelt?
Blume: Porsche gehört jetzt ein gutes Jahrzehnt zum Volkswagen-Konzern. In dieser Zeit hat sich im positiven Sinn eine ganze Menge getan. Wir profitieren von den Skaleneffekten, beispielsweise im Teileeinkauf. Der Konzern profitiert wiederum finanziell von Porsche. Unser operatives Ergebnis hat sich in diesem Jahrzehnt verfünffacht. Wir haben uns vom Juniorpartner zur ertragsstärksten Marke im Konzern entwickelt. Das ist gleichzeitig eine grosse Verantwortung. Mit dem, was Porsche erwirtschaftet, wird auch die Transformation in anderen Marken unterstützt. Echtes Teamwork.
„Wir haben uns vom Juniorpartner zur ertragsstärksten Marke im VW-Konzern entwickelt.“ Oliver Blume
Gibt es noch andere Bereiche, wo Porsche im Konzern der ultimative Massstab ist?
Blume: Porsche ist eine technologische Speerspitze. Spitzentechnologien bieten wir als Dienstleister für andere Marken an. Beispiele sind die innovativsten Elektromodelle. Der Taycan stellt die technische Basis für den Audi etron-GT. Die Hybrid-Plattform für den Bentley Continental, das Cabrio und den Flying Spur kommt vom Porsche Panamera. Auch auf strategischer Ebene arbeiten wir für den Konzern: als kleiner Hersteller können wir mutiger und schneller sein. Wir haben die Transformation zur Elektromobilität sehr früh eingeleitet und sind darüber Impulsgeber für die Konzernstrategie.
Wie sieht Ihre Corona-Bilanz aus?
Blume: Wir müssen jetzt konsequent sein und alle müssen das Beste daraus machen. Corona ist ein Stresstest für jeden von uns und die Gesundheit steht im Vordergrund. In der Automobilbranche legt die Pandemie schonungslos offen, wer seine Hausaufgaben gemacht hat. Vor und während der Krise. Mit unserem täglichen Krisenmanagement konnten wir unser Unternehmen auf Kurs halten. Ausserdem war es uns wichtig, die Gesellschaft mit dem weltweiten Programm „Porsche hilft“ zu unterstützen. Klare Führung, starkes Teamwork und echter Kampfgeist sind gefragter denn je.
Porsche hat schnell genug reagiert?
Blume: Ja, das haben wir. Schnell reagieren ist wichtig, pragmatisch handeln ebenfalls – zum Beispiel bei den Kosten. Wir konnten unsere Gewinnschwelle weiter senken. Gleichzeitig gibt uns unsere sportliche und innovative Produktpalette starken Rückenwind. Insgesamt haben wir uns sehr ordentlich geschlagen. Der Jahresabschluss ist immer ein bisschen wie Zeugnistag. Wir sind zuversichtlich, trotz Corona eine zweistelligen Rendite zu erreichen. Dafür haben wir das ganze Jahr gekämpft.
Und wenn Corona vorbei ist, wollen Sie wieder die gewohnte Gewinnmarge von 15 Prozent schaffen?
Blume: Die 15 Prozent bleiben auch zukünftig unser strategisches Ziel. Auch wenn es in Zeiten der Transformation deutlich ehrgeiziger ist. Wir investieren erheblich in die Elektromobilität, Digitalisierung und Qualifizierung unserer Mitarbeiter. Zudem haben wir hohe Materialkosten für Batterien. Parallel setzen wir auf Benziner und Hybrid-Fahrzeuge, da sich die Elektromobilität unterschiedlich schnell in den Weltregionen entwickelt. Zusammen sind das enorme Aufwendungen. Deshalb sind 15 Prozent Rendite heute so wertvoll wie früher 20 Prozent.
Ohne Corona hätte es im vergangenen Jahr doch wahrscheinlich ein kräftiges Wachstum bei Porsche gegeben? Mit einem Absatzminus von drei Prozent liegen Sie deutlich vor der Konkurrenz.
Blume: Das stimmt. Im vergangenen Jahr lagen wir mit über 272.000 ausgelieferten Fahrzeugen nur drei Prozent unter dem Vorjahreswert. In schwierigem Umfeld ein toller Erfolg unserer Mannschaft. Im Corona-Shutdown ging es allen Unternehmen gleich. Wir mussten die Produktion sechs Wochen stoppen, der Handel war regional sogar noch länger geschlossen. Dadurch haben wir letztlich mehr als zehn Prozent unseres geplanten Jahresabsatzes nicht erschliessen können.
Um sich die Investitionen in neue Elektroautos und die Digitalisierung leisten zu können, muss Porsche sparen. Was ist konkret geplant?
Blume: Unsere Ansätze gehen deutlich über das Sparen hinaus. Vor drei Jahren haben wir ein umfassendes Ergebnisprogramm aufgesetzt: wir heben darüber Effizienzen und erschliessen zusätzliche Ertragsquellen. Die positiven Effekte haben uns in der Corona Krise bereits geholfen. Um konkrete Zahlen zu nennen: Bis 2025 unterstützen wir unser Ergebnis um insgesamt zehn Milliarden Euro. Ab dann sollen es jährlich drei Milliarden Euro sein. Wir kommen effektiv voran und haben bereits mehr als 2.500 Einzelmassnahmen erarbeitet. Das Ergebnisprogramm ist heute Tagesgeschäft.
„Unsere Ansätze gehen deutlich über das Sparen hinaus. Vor drei Jahren haben wir ein umfassendes Ergebnisprogramm aufgesetzt: wir heben darüber Effizienzen und erschliessen zusätzliche Ertragsquellen.“ Oliver Blume
Können Sie konkrete Beispiele dafür nennen?
Blume: Ein Beispiel ist die Digitalisierung in der Fahrzeugentwicklung. Früher haben wir für die Erprobung sehr viele Prototypen gebaut – mit Kosten in Millionenhöhe. Jetzt entwickeln wir umfangreich digital – ebenso gut oder besser und deutlich günstiger. Zudem versuchen wir, über alle Baureihen hinweg stärker Standardbauteile zu verwenden. Überall dort, wo es für die Identität der Produkte keine Bedeutung hat.
Wird es die schier unendliche Vielzahl von Ausstattungsmöglichkeiten weiter geben?
Blume: Bei Zusatzausstattungen im Fahrzeug fokussieren wir uns. Sehr selten von unseren Kunden nachgefragte Extras nehmen wir aus dem Angebot. Ich würde das mit der Speisekarte eines guten Restaurants vergleichen: 100 Gerichte auf der Karte verwirren den Gast. Exklusive Restaurants haben nur zehn Gerichte auf der Karte, die hochwertig zubereitet werden. Und Letzteres sind wir – übertragen auf die Autobranche. Trotzdem kann jeder Kunde ein individuelles Auto bekommen, was wir über die Porsche Exclusive Manufaktur ermöglichen.
2021 wird sich Porsche etwas zurücknehmen?
Blume: Keine Sorge. Im vergangenen Jahr hatten wir mit den neuen 911-Derivaten und dem Taycan umfangreiche Grossanläufe. Für unsere Mannschaft ein enormer Kraftakt. Unsere Kunden haben nun eine grossartige Palette an Produkten zur Auswahl. In diesem Jahr wird es einige positive Überraschungen geben und wir nutzen die Zeit, um unsere Prozesse weiter zu optimieren. Um dann in den Folgejahren mit noch mehr Kraft zum nächsten Sprung anzusetzen.
Stört es Sie, dass Sie jetzt Bentley an Audi abtreten müssen?
Blume: Nein. Bentley ist für mich eine Erfolgsgeschichte. In den vergangenen drei Jahren haben wir das Unternehmen komplett gedreht. Das Bentley-Team macht einen tollen Job und hat das Ergebnis von 2018 auf 2019 – mit unserer Unterstützung – um 300 Millionen Euro gesteigert. Die Sanierung ist gelungen, Bentley verdient wieder Geld. Sogar das Corona-Jahr 2020 könnte mit einer schwarzen Zahl abgeschlossen werden. Die Produktstrategie ist zukunftsweisend aufgestellt. Das Unternehmen wird robust in die Zukunft fahren, vorbereitet für eine nachhaltig zweistellige Rendite.
Aber schade ist die Trennung schon?
Blume: Der Porsche-Job ist erledigt. Bentley ist im Premium-Luxus-Segment besser bei Audi aufgehoben als im sportlichen Bereich von Porsche. Deshalb geben wir das Unternehmen gern saniert nach Ingolstadt ab.
Porsche engagiert sich auch bei synthetischen Kraftstoffen und hat damit eine Sonderrolle im VW-Konzern. Warum?
Blume: Die Elektromobilität ist nach vorn geblickt alternativlos, um die CO₂-Ziele schnell und nachhaltig zu erreichen. Trotzdem haben wir heute über eine Milliarde Fahrzeuge auf der Welt, die mit einem Verbrenner unterwegs sind. Bei Porsche denken wir Nachhaltigkeit gesamtheitlich. Wir wollen als Pionier aufzeigen, dass synthetische Kraftstoffe ein umweltgerechter Ansatz für bereits betriebene Fahrzeuge sein können. CO₂-frei hergestelltes Methanol, in Benzin umgewandelt, an Orten auf der Welt produziert, wo nachhaltige Energie im Überfluss vorhanden ist. Dabei können Motoren und Infrastruktur von heute genutzt werden.