Als er sich der Linkskurve nähert, schlägt der Fahrer des Taycan GTS weit vor dem normalen Kurveneingang das Lenkrad scharf nach links ein und dann noch heftiger nach rechts. Das widerspricht schon auf dem Papier jeglicher Intuition, in der Realität sieht es sogar völlig abwegig aus. Doch die Frau, die vom Rand der Rennstrecke aus zuschaut, nickt nur zustimmend. Es ist Sera Trimble, Hollywood-Stuntfahrerin und Besitzerin eines leicht modifizierten Porsche 911 G – und sie weiss auch, was als Nächstes passieren wird.
Der Fahrer der schnittigen grauen Elektrosportlimousine schert im letzten Moment nach links aus und vollführt einen perfekten „Scandinavian Flick“. Mit dem Pendelschlag bringt er das Heck aus dem Gleichgewicht, sodass er in einer Wolke blauen Reifenqualms vorbeidriftet. Ein weiteres Nicken von Trimble, diesmal verstärkt durch das leichte Anheben einer Augenbraue.
Im Rahmen der weltweiten Medienkampagne für den neuen Porsche Taycan GTS besuchten ausgewählte Journalisten den legendären Willow Springs Raceway – seit den 1950er-Jahren Schauplatz unzähliger Siege von Porsche – um herauszufinden, wie sich der neue Wagen auf dem „Big Willow“ anstellt.
Den letzten Millimeter Reifenprofil entfernen
Einer der Gastgeber war Christian Wolfsried, der das Team von Ingenieuren leitet, das am Fahrwerk des Taycan arbeitet – ein Projekt, das, wie er erklärt, stark auf Teamarbeit angewiesen ist. Insbesondere im komplexen, wachsenden und immer stärker vernetzten Bereich der Elektroautos. Es überrascht nicht, dass Wolfsried am Steuer eines Autos ebenso geschickt ist wie in der Konstruktion. In Weissach werden Fahrer eingestuft in „Basis“ über „Turbo“ bis hin zu „Supersport“ (ausserdem gibt es noch spezielle Nürburgring-Nordschleifen- und Winterklassen). Auf die Frage, welche Lizenz er besitzt, gibt Wolfsried unumwunden zu, dass er sie alle hat. Es stellt sich heraus, dass er auch Ausbilder und Prüfer ist. Heute trifft er sich mit einer Profi-Kollegin, um Beobachtungen und Geschichten auszutauschen und dafür zu sorgen, dass von einigen Reifen, die bereits für den Recyclingcontainer bestimmt waren, auch der letzte Millimeter Profil entfernt wird.
Es wird sofort offensichtlich, dass Wolfsried und Trimble dieselbe Sprache sprechen. Beide wären zwar sehr erfolgreiche Rennfahrer, wenn sie sich jemals darauf einlassen würden, aber ihre Disziplinen haben mehr miteinander gemein als das reine Streben nach Geschwindigkeit, wie es Rennfahrer verfolgen. Wolfsried erklärt: „Ich bin nicht der schnellste der Profi-Fahrer bei Porsche, wir haben eine ganz andere Aufgabe. Wenn ein Rennfahrer merkt, dass er eine Kurve schneller nehmen kann, indem er seine Bahn oder seinen Umgang mit dem Gas- und Bremspedal ändert, dann wird er das tun. Wir müssen jedoch äusserst konsequent sein, um sicher zu gehen, dass jede Verbesserung ausschliesslich auf unsere Änderungen am Auto zurückzuführen ist. Für uns geht es also darum, das Fahrzeug zu verbessern – nicht den Fahrstil.“
Hohes Level an Präzision
Trimble stimmt vehement zu. „Auch bei uns muss alles ganz konstant ablaufen. Es gibt eine Markierung, an der wir starten, und wir müssen jedes Mal genau dieselbe Bahn entlang driften und im selben Winkel und am selben Punkt landen, auch wenn sich die Reifen ändern, sich Abrieb auf der Strasse gebildet hat oder – wie es manchmal vorkommt – der Regisseur plötzlich entschieden hat, den Look des gesamten Sets zu ändern.“
Trimble freut sich, dass Wolfsried und sein Team sich so viel Zeit nehmen, um sicherzustellen, dass Porsche-Sportwagen Aussergewöhnliches leisten. Ob sie nun über die Autobahn rollen oder viel dynamischer auf einem Rundkurs gefahren werden – oder natürlich am Filmset. Auf die Frage von Wolfsried nach ihrem dramatischsten Filmstunt erklärt Trimble mit begleitenden Gesten und einigen Pirouetten eine Sprungszene, die sie gerade für den Blockbuster Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings des Marvel-Studios auszuführen hatte. Sie möchte wissen, ob Porsche bei der Entwicklung seiner Autos auch überprüft, wie sie fliegen.
Mit einem verlegenen Lächeln antwortet Wolfsried, dass sie an einigen Stellen in Nardò und auf dem Nürburgring ziemlich viel Luft bekommen. Es folgt von Trimble ein Schwall kalifornischer Schimpfwörter über die Fahrzeuge, in denen sie allzu oft Stunts auszuführen hat und deren elektronische Gehirne nichts Riskantes zulassen, selbst wenn alle Sicherheitsschalter auf „Aus“ stehen.
Sera Trimble und der Taycan GTS
Es dauert nicht lange, bis Trimble, die neben ihrem luftgekühltem Elfer auch einen Macan fährt, selbst am Lenkrad des Taycan sitzt. Schon ist der elektrische Sportsound eingeschaltet, der zusätzliche Bass der GTS-Variante gefällt ihr, ebenso wie die direkte Beschleunigung des Elektroantriebs, die – wie sie bekennt – bei ihrer Stuntarbeit sehr nützlich wäre. Sie umrundet den „Horse Thief“ (den 1,6 Kilometer langen Strassenkurs in Willow Springs) schnell, präzise und mühelos. Trimble plaudert mit Wolfsried, während sie mit einer Geschwindigkeit unterwegs ist, die im krassen Gegensatz zu ihrer entspannten Unterhaltung steht.
Dann ist sie an der Reihe, ein paar ihrer Moves zu zeigen. Sie katapultiert den Taycan in eine Reihe dramatischer Drehbewegungen und lässt ihn mit einer exquisiten, fast ballettartigen Kontrolle über den Asphalt gleiten. Und mit noch viel mehr Reifenqualm.
Wolfsried sieht zu, wie Trimble demonstriert, was der Taycan unter den Händen eines Profis der besonderen Art zu leisten vermag, bevor er sich zu ihrem 911 umdreht. Auf seinem Gesicht erscheint ein breites Grinsen. „Cool. Sehr, sehr cool.“