Noch nie stand die psychische Gesundheit so sehr im Fokus wie heute. Je mehr Menschen über ihre Erfahrungen sprechen, desto mehr ist die Gesellschaft bereit, offene und ehrliche Gespräche über die „unsichtbaren“ Krankheiten zu führen. Doch auch wenn das damit verbundene Stigma allmählich abgebaut wird, bleibt unzureichende psychische Gesundheit eine der grössten Herausforderungen der heutigen Gesellschaft.
Einige Organisationen aus der Automobilwelt verbinden Autos mit der Förderung der psychischen Gesundheit. Die australische Organisation „Drive Against Depression“ beispielsweise fördert das psychische Wohlbefinden durch die Freiheit des Autofahrens und bietet regelmässige Veranstaltungen an, um Probleme zur Sprache zu bringen. Der seit dem Ausbruch von COVID-19 etwas schwierig gewordene persönliche Kontakt mit Gleichgesinnten ist ein bewährtes Mittel, um den Deckel zu lüften. Autotreffen wie „Luftgekühlt“, das erstmalig 2014 in Los Angeles stattfand, könnten die Gemütslage der Besucher nicht nur durch die ausgestellten luftgekühlten Elfer verbessern, sondern den Dopaminspiegel auch auf andere Weise ankurbeln.
In England veranstaltet der Treffpunkt für Autofans „Caffeine and Machine“ einmal im Monat einen Abend, an dem prominente Gäste über ihren Umgang mit dem Stress und den Strapazen des Alltags sprechen, besondere Probleme offenlegen und sich den Fragen des Publikums stellen. Die unter dem Titel „I Love You, Man“ laufenden Veranstaltungen werden nicht für eine spätere Sendung aufgezeichnet, sind nicht geskriptet, und Zurückhaltung ist hier nicht geboten.
Treffpunkt „Caffeine and Machine“
Phil McGovern, Mitbegründer des Treffpunkts in Warwickshire, hatte mehrere Gründe dafür, diese Veranstaltungen ins Rollen zu bringen: „Den Anstoss dazu gaben COVID-19 und die zwei Jahre, in denen ich mit meinem Geschäftspartner Dan ‚Caffeine and Machine‘ aufgebaut, aber nie wirklich mit ihm gesprochen hatte“, meint er. „Ein weiterer Grund war, dass ich, nachdem ich eine Zeit lang im Nahen Osten gelebt hatte, vor vier Jahren in England ankam und das Leben meiner Familie durcheinanderbrachte. Und dann waren da mein ältestes Kind, das sich mir gegenüber zunächst als transsexuell, dann aber nach und nach als nicht-binär geoutet hat, und die Belastungen, die es durchmacht.“
Ein weiterer Grund: die Einsamkeit. „Ich persönlich finde, dass ich mit Leuten keinen richtigen Tiefgang erreiche. Das war nie der Fall, und ich habe immer noch damit zu kämpfen. Ich komme an einen Punkt, an dem ich kurz davor bin, dem Kern der Sache näherzukommen, und dann laufe ich meilenweit weg und halte mich im Hintergrund.“ McGovern hat ,Caffeine and Machine‘ aus einem bestimmten Grund ins Leben gerufen: „Ich war einsam. Und dann habe ich gemerkt, dass ich da vorne stehe, wenn Hunderte von Leuten da sind ... und eigentlich mit keinem von ihnen spreche.“
Veranstaltungen während des Lockdowns
Die Veranstaltungen, die begannen, als England verschiedene Stadien des Lockdowns durchmachte, scheinen zum richtigen Zeitpunkt gekommen zu sein. Die Teilnehmer schätzen die Treffen dafür, dass sie etwas bieten, das andere vermissen lassen. McGovern ist der Meinung, dass der Abend Anklang findet, weil die Menschen sich nicht nur ihrer Gefühle bewusster werden, sondern auch der Tatsache, dass es anderen ebenso geht.
„Ein Gast sprach das Thema Antidepressiva an, und ich dachte: ‚Moment mal, wer hat noch solche Erfahrungen gemacht?‘ Ich fragte das Publikum, und um die 90 Prozent hoben die Hand. Selbst Leute, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie mit Antidepressiva zu tun hätten.“ Obwohl die Veranstaltung leicht zu einem monatlichen Vorwand dafür werden könnte, einen Stargast in Szene zu setzen, hofft McGovern, dass der Schwerpunkt weiterhin auf persönlichen Geschichten liegen wird. Zu den bisherigen Rednern gehörten ein zweifach Beinamputierter, ein Fernsehmoderator und ein Vorstandsvorsitzender – jeder mit seinen persönlichen Storys und Problemen.
Immer mehr Menschen suchen Hilfe
Nach Angaben der Wohltätigkeitsorganisation „Mind“ suchen zwar immer mehr Menschen Hilfe, wenn sie das Gefühl haben, dass sich ihr psychischer Zustand verschlechtert, aber gleichzeitig steigt die Zahl der Menschen mit düsteren oder Suizidgedanken. Eine von der Organisation veröffentlichte Studie gibt Imageproblemen und den sozialen Medien dabei eine Mitschuld. In der Tat hat sich gezeigt, dass sich die Stimmung enorm verbessern kann, wenn man weniger Zeit mit dem Durchspielen von „Untergangsszenarien“ und mehr Zeit draussen beim Sport oder bei Gesprächen mit Freunden verbringt.
Dr. Daniel Mauss, Leiter Gesundheitsmanagement bei der Porsche AG, entwickelte in einer prämierten Arbeit den „Allostatic Load Index“ – eine Kennzahl, die helfen soll, psychische Probleme frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Dabei werden verschiedene physische Kennwerte gemessen, um Beschwerden vorzubeugen, aber Dr. Mauss merkt an, dass die Menschen selbst auf ihr Wohlbefinden achten müssen, um die Wirksamkeit der Methode zu gewährleisten: „Wir achten auf jedes kleine Kontroll- und Warnlämpchen in unseren Autos. Wir achten auf den Ölstand und den Ladezustand der Batterie. Auch unser Körper gibt uns Warnsignale, wie Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen, Verspannungen, Bluthochdruck, Herzrhythmus- oder Schlafstörungen. Diese werden von uns meist ignoriert. Der Allostatic Load Index kann helfen, physische Warnsignale frühzeitig messbar zu machen.“
Unter den englischen Autoliebhabern geben jedoch weniger die physischen Kennzahlen, sondern eher die Veranstaltungen „I Love You, Man“ von „Caffeine and Machine“ den Ton an. Sie fördern Ehrlichkeit, Offenheit und Kommunikation unter den Teilnehmern, und da keine Aufzeichnungen gemacht werden, müssen diese in jeder Hinsicht präsent sein.
Alex Goy
Alex Goy ist ein britischer Autojournalist, der unter anderem für die Sunday Times, Road and Track und Business Insider schreibt. Darüber hinaus berichtete er für GQ Online über psychische Gesundheit und sass bei I Love You, Man von „Caffeine and Machine“ als Gast auf dem Sofa. Er mag schnelle Autos, laute Motoren und vor allem Tee.
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Die Beitragsreihe-Reihe „Bewegende Gedanken" präsentiert Erkenntnisse führender Experten aus der ganzen Welt und soll neuen Ideen, Technologien und Debatten Raum bieten.