Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich Nathalie McGloin vom Trackday-Fan zu einer der einflussreichsten Personen des heutigen Motorsports. Ihre Geschichte ist geprägt von einem beeindruckenden Mass an Mut und Entschlossenheit, gepaart mit einer Leidenschaft für Autorennen, die diesem Sport für künftige Generationen ihren Stempel aufdrücken könnte.
FIA gründet Disability and Accessibility Commission
McGloin ist die weltweit einzige Rennfahrerin mit Querschnittslähmung. Seit 2015 fuhr sie einen Porsche Cayman S in drei verschiedenen nationalen britischen Meisterschaften und ist mittlerweile ein inspirierendes Sprachrohr für Menschen mit Behinderungen im Motorsport. Nachdem McGloin 2017 eine inspirierende Rede gehalten hatte, lud sie FIA-Präsident Jean Todt in die Zentrale der Organisation in Paris ein, wo er ihr anbot, die neu gegründete Disability and Accessibility Commission (Kommission für Behinderung und Barrierefreiheit) zu leiten.
„Es geht um Lizenzerteilungen, Fahrzeugumbauten, die Zugänglichkeit von Rennstrecken, Massnahmen zur Streckensicherung mit Funktionären und Freiwilligen und so weiter“, erläutert McGloin. „Unser Ziel ist es, die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen am Motorsport unter Wahrung der Sicherheit zu fördern und zu erhöhen.“
„Die Vorschriften mussten dringend überarbeitet werden“
Die Kommission wurde in Folge eines Unfalls in der britischen F4-Meisterschaft 2017 gegründet, bei dem der Nachwuchs-Rennfahrer Billy Monger schwer verletzt wurde. McGloin erzählt, dass Monger die FIA bat, die bestehenden Vorschriften zu ändern, nach denen behinderte Fahrer nicht bei Monoposto-Rennen an den Start gehen durften. Dieser Moment markierte einen Wendepunkt.
„Die Vorschriften mussten dringend überarbeitet werden“, betont McGloin. „Vieles wurde bereits geändert und an den heutigen Motorsport angepasst. Die FIA hat uns ausserdem Zuschüsse bewilligt, mit denen wir behinderten Fahrern höchste Sicherheitsausstattung bieten können. Ausserdem wurden Vorschriften dahingehend geändert, dass umgebaute Fahrzeuge ohne technische Einschränkungen an Rennen teilnehmen können, durch die sie ansonsten in ihrer Rennkategorie nicht an den Start gehen könnten.“
Ziele gehen über das Rennfahren hinaus
Die Arbeit der Kommission wirkt sich aber auch auf Aspekte aus, die über das eigentliche Rennfahren hinausgehen. So sind zum Beispiel für 2021 mehrere Projekte geplant, mit denen alle Rundstrecken der Formel 1 und der Formel E für Zuschauer vollkommen barrierefrei gestaltet werden sollen. McGloin formuliert es so: „Es ist viel passiert, es passiert auch aktuell viel, aber wir haben noch jede Menge Arbeit vor uns.“
Als ein langfristiges Ziel möchte die Kommission, ebenso wie McGloin persönlich, Motorsport mit Behinderung als etwas ganz Normales etablieren, sodass ein Kind mit Behinderung Rennen auf höchstem Niveau nicht länger als etwas Unerreichbares sehen muss. Und eine der wichtigsten Massnahmen zur Erreichung dieses Ziels ist schlichtweg mehr Sichtbarkeit.
Keine separate Rennkategorie für Menschen mit Behinderung
„Wenn man in einem bestimmten Bereich nie jemanden wie sich sieht, denkt man vielleicht eher, es wäre für einen selbst unmöglich, und versucht es gar nicht erst.“ Doch dies ist ein Paradoxon, wie McGloin erklärt: „Es gibt eine Menge Fahrer mit Behinderungen, die auf der ganzen Welt im Einsatz sind, denn im Motorsport gibt es keine separate Rennkategorie für Menschen mit Behinderung. Daher hat dieses Thema für die Zuschauer keine grosse Bedeutung.“
„Auf der Rennstrecke sind wir genau wie alle anderen, und das ist toll und macht diesen Sport für mich und viele andere auch zu etwas so Besonderem." Nathalie McCloin
„Auf der Rennstrecke sind wir genau wie alle anderen, und das ist toll und macht diesen Sport für mich und viele andere auch zu etwas so Besonderem. Aber die Kehrseite dieser Medaille ist, dass wir nicht unbedingt so publikumswirksam sind, wie es für den Sport insgesamt eigentlich notwendig wäre, um für andere Menschen mit Behinderung attraktiver zu werden.“
FIA schafft eigene Themen-Präsenz auf Instagram
Die Kommission betreut mehrere Programme zur Schaffung von Plattformen für Fahrer und Personen mit Behinderung, die in anderer Funktion im Motorsportbereich tätig sind. Eine solche Initiative ist ein offizieller „Disability&Accessibility“ Instagram-Account der FIA, der im September eröffnet wurde. Dieser gewinnt zunehmend an Sichtbarkeit, bietet einen Ort, an dem behinderte Fahrer zusammenkommen, und spricht gleichzeitig Interessierte an, die mehr zu diesem Thema erfahren möchten.
Solche Plattformen sind zwar ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung, doch McGloin mahnt, dass das endgültige Ziel, auch im Sinne der FIA, tatsächliche Gleichstellung sein muss. „Plattformen, die öffentlich machen, dass der Motorsport für Menschen mit Behinderung zugänglich ist, dürfen dem übergeordneten Ziel nicht entgegenstehen. Es handelt sich um einen inklusiven Sport für alle Menschen, in dem Fahrer mit und ohne Behinderung gemeinsam antreten können. Das langfristige Ziel darf nicht darin bestehen, Fahrer mit Behinderung in eine eigene Kategorie oder Sportart einzusortieren.“ Sie sehe aber kein Problem darin, auf Veranstaltungen, die sich ausschliesslich an Menschen mit Behinderung richten, das Bewusstsein für dieses Thema zu schärfen.
Nathalie McCloin fährt Rennen im Porsche 718 Cayman S
Wer McGloins persönliche Rennkarriere kennt, versteht, warum ihr dieses Ziel so wichtig ist. 2010 besuchte sie das erste Mal einen Trackday und war sofort Feuer und Flamme für die Idee, ihr Strassenfahrzeug so schnell wie nur möglich über eine Rundstrecke zu fahren, und zwar gleichzeitig mit nicht behinderten Teilnehmern. Sobald sie in einem Fahrzeug sass, war ihre Behinderung für sie kein Thema mehr.
Mit einer guten Mischung aus Entschlossenheit und Begabung wechselte sie zu immer schnelleren Wagen, bis sie 2014 schliesslich ihren Cayman S erwarb, den sie im Laufe der folgenden eineinhalb Jahre zu einem äusserst konkurrenzfähigen Rennwagen ausbaute. 2015 erhielt McGloin ihre Rennlizenz, und von da an blickte sie nur noch nach vorn.
Motiviert zu beweisen, dass es möglich ist
Wenn man sie fragt, ob sie auf diesem Weg besondere Herausforderungen meistern musste, antwortet sie gewohnt sachlich: „Ich würde nicht von Herausforderungen sprechen. Jedem Rennfahrer stellen sich Hürden in den Weg, die es zu überwinden gilt. Mental muss ich mich genauso auf das Rennfahren vorbereiten wie jeder andere Fahrer ohne Behinderung auch. Als erste Rennfahrerin mit Wirbelsäulenverletzung im Vereinigten Königreich eine Rennlizenz zu erhalten, hat in mir keinerlei Zweifel hervorgerufen. Es gefällt mir, die Erste in diesem Bereich zu sein. Es hat mich motiviert, zu beweisen, dass es möglich ist.“
McGloin fährt in ihrem Cayman Rennen gegen erfahrene Piloten ohne Behinderung und ist in bemerkenswert kurzer Zeit immer erfolgreicher geworden: Bereits 2019 fuhr sie das erste Mal Silber ein. Ich kann nicht abstreiten, dass ich vor meinem ersten Rennen tierische Angst hatte. Aber ich denke, das geht den allermeisten Fahrern so. Es ist schwer, zu erklären, aber als die Lichter ausgingen, wurde mir klar, dass sich all die harte Arbeit gelohnt hatte. Das war ein unbeschreibliches Gefühl. Ich wusste von Anfang an, dass es das Richtige war, und dass ich das noch sehr lange machen möchte.“
Info
Die Beitragsreihe-Reihe „Bewegende Gedanken" präsentiert Erkenntnisse führender Experten aus der ganzen Welt und soll neuen Ideen, Technologien und Debatten mit automobilem Bezug Raum bieten.
Dieser Beitrag wurde vor dem Start des Porsche Newsroom Schweiz in Deutschland erstellt. Die genannten Verbrauchs- und Emissionsangaben richten sich daher nach dem Prüfverfahren NEFZ und wurden unverändert übernommen. Alle in der Schweiz gültigen Angaben nach WLTP-Messzyklus sind unter www.porsche.ch verfügbar.