Le Mans, 1970. Seit dem Sommer laufen in dem kleinen französischen Ort die Dreharbeiten zum Hollywoodfilm Le Mans mit Steve McQueen in der Rolle des Rennfahrers Michael Delaney. Schon beim 24-Stunden-Rennen im Juni war ein Porsche 917 KH in orange-blauer Gulf-Lackierung gestartet. Als Kamerawagen kam ein modifizierter Porsche 908/2 zum Einsatz, um bei voller Renngeschwindigkeit möglichst authentische Szenen einfangen zu können. Hinter dem Steuer des Porsche 917 sassen Brian Redman und Jo Siffert. Der Schweizer Rennfahrer war jedoch nicht nur als race double für Steve McQueen im Einsatz. Nach dem Motto „Race on Sunday, sell on Monday“ hatte der geschäftstüchtige Sportwagen- und Formel-Pilot in seiner Heimatstadt Fribourg einen Handel für Sportwagen aufgezogen – und nun in einem lukrativen Deal mit der Produktionsfirma Solar Productions Inc. die meisten Renn- und Strassensportwagen für den Dreh beschafft. Neben dem Porsche 917 hatte Siffert auch eine Flotte von Porsche 911 und 914 nach Le Mans transportiert, die von Regisseur John Sturges, Derek Bell und anderen Mitgliedern des Filmteams begeistert bewegt wurden: als schnelle Shuttles von einem Drehort zum nächsten, aber auch bei dem einen oder anderen Rennen nach Drehschluss, zu denen meist Steve McQueen den Anstoss gab. Der berühmteste Elfer aus der Flotte ist sicherlich der schiefergraue Porsche 911 S aus der Anfangsszene des Films, den der „King of Cool“ später mit in seine amerikanische Heimat nahm. 2011 wurde McQueens Filmwagen versteigert – für 1,375 Millionen US-Dollar.
Schnitt – Zürich, Ende der 1990er Jahre. Als junger Anwalt blickt Andreas Ritter vom Hinterhofbüro seiner Kanzlei im Seefeld auf die Garage Speich, in der die Bewohner des Zürichbergs und der „Goldküste“ ihre Sportwagen warten lassen. „Schon früh während des Studiums hatte ich begonnen, Kunst und Design zu sammeln. Das letzte, was ich noch brauchte, war eine Begeisterung für kostspielige Automobile“, erinnert sich Ritter schmunzelnd. Der klassische Porsche 911 T einer älteren Dame, der immer wieder zum Service erschien, lässt ihn damals jedoch nicht mehr los. „Der Porsche 911 ist ja die grosse Designikone unter den Automobilen – und die Farbkombination aus sepiabraunem Lack und beigem Interieur sah umwerfend elegant aus.“ Eines Tages steht schliesslich der Werkstattmeister in der Kanzleitür: Der Pudel der Dame käme altersbedingt nicht mehr auf die Rückbank, der Porsche sei zu verkaufen. Während des Verkaufsgesprächs berichtet die Besitzerin, sie habe den Sportwagen von einer guten Freundin geerbt, die Filmschauspielerin war; er solle doch bitte gut auf ihn achtgeben. Ritter wird hellhörig. Kulturgüterschutz und Provenienzforschung gehören zu seinen juristischen Fachgebieten als Kunstanwalt. Und so beginnt er, die Historie seines Porsche 911 genauer zu recherchieren.
„Der Porsche 911 ist ja die grosse Designikone unter den Automobilen.“ Andreas Ritter
Als Erstbesitzerin des Sportwagens findet sich im Fahrzeugausweis aus dem Jahr 1971 eine gewisse Elga Andersen aus Nyon. Beruf: actrice – Schauspielerin. Heute mag der Name fast vergessen sein, doch in den 1950er- und 1960er-Jahren war die geborene Dortmunderin mit der blonden Mähne und den eisblauen Augen ein absolutes It-Girl. Sie hatte in Bonjour Tristesse und Ascenseur pour l'échafaud – zwei wegweisenden Filmen der Nouvelle Vague – vor der Kamera gestanden und in Paris im einstigen Studio von Henri Matisse gelebt. Sogar mit Mohammad Reza Pahlavi, dem Shah von Persien, war sie kurzzeitig liiert. Ihren grössten Erfolg feierte sie jedoch als weibliche Hauptdarstellerin in Le Mans, als Witwe des einstigen Rennbahn-Rivalen von Michael Delaney alias Steve McQueen, dem sie im Laufe des Films langsam, aber sicher in die Arme trieb.
Im Casting, das noch während der Dreharbeiten andauerte, hatte sich Elga Andersen gegen Stars wie Diana Rigg, Maud Adams und sogar Twiggy durchgesetzt. McQueen soll seine Filmpartnerin bei ihrer Ankunft am Set wenig charmant gefragt haben, wie sie bloss ohne Umweg über die Besetzungscouch an die Rolle gekommen sei. Allerdings in deutlich handfesteren Worten, es waren schliesslich die Siebzigerjahre. Doch Andersen liess sich nicht schrecken. McQueen sei ein komplexer Mann, der noch immer versuche, erwachsen zu werden, verriet sie damals in einem Interview. Und wie die Yellow Press eifrig aus dem Produktionscamp berichtete, war Elga Andersen nicht nur auf, sondern bald auch abseits der Leinwand Steve McQueens Geliebte.
Der sepiabraune Porsche 911 T von Andreas Ritter gehörte Jo Sifferts Flotte am Set von Le Mans an– davon zeugen Fotos aus dem Solar Village. Nach der Drehpause im Sommer wurde der frisch in Stuttgart vom Band gelaufene Sportwagen der Hauptdarstellerin zur Verfügung gestellt. Und wer weiss, vielleicht unternahmen Elga Andersen und Steve McQueen sogar einen romantischen Ausflug mit dem Elfer? Belegt ist derweil, dass der Porsche nach Ende der Dreharbeiten in die Schweiz zurückkehrte und Siffert ihn im Januar 1971 an Andersen überschrieb. Der Grossteil des Kaufpreises wurde von Solar Productions Inc. übernommen, die Schauspielerin musste nur für die Extras aufkommen – etwa das Kassettenradio, das sich bis heute im Cockpit befindet. Erhielt Elga Andersen den Porsche 911 T als Teil ihrer Gage oder, wie spekuliert wurde, als Abschiedsgeschenk von Steve McQueen? Für Andreas Ritter ist das nicht entscheidend. „Die Geschichte mit Le Mans ist natürlich toll, aber auch ohne diese Historie ist der 911 T ein wunderbares Auto: bestens gepflegt und im Originalzustand, mit Matching Numbers.“
Statt ihn in einer klimatisierten Garage zu konservieren, lässt Andreas Ritter den Porsche aber auch 50 Jahre nach seiner Erstzulassung nicht in Rente gehen: „Im Sommer bin ich viel in Graubünden und im Engadin unterwegs – und für die Passstrassen könnte es kein besseres Auto geben!“ Das hätte sicherlich auch Steve McQueen unterschrieben. Elga Andersen blieb derweil auch nach Le Mans dem Glamour und Abenteuer zugetan. Ende der 1970er-Jahre heiratete sie den Kaufhauserben, Filmemacher und Tiefseetaucher Peter Gimbel, den sie auf seinen Expeditionen zum Wrack der legendären Andrea Doria begleitete. Der Banktresor, den sie dabei aus der Tiefe holten, konnte lange Jahre im Haifischbecken des New York Aquarium bestaunt werden. 1994 verstarb Andersen mit 59 Jahren in New York. Während ihre Asche und die ihres Ehemanns in der Andrea Doria zur ewigen Ruhe gebettet wurden, hinterliess sie den Porsche 911 T ihrer Zürcher Freundin, bis ein altersschwacher Pudel den Sportwagen in den Besitz von Andreas Ritter lenkte. Manche Geschichten sind einfach so schön und verworren, dass man selbst in Hollywood nicht darauf käme.
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Magazin Christophorus, Nr. 401.
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