Leichtbau in den Genen

Gewichtsoptimierung stand bei Porsche schon immer ganz oben auf der Agenda. Die grösste Innovation bei der Karosserie des aktuellen Porsche 911 ist die Seitenwand komplett aus Aluminium. Aber auch andere Komponenten wurden leichter, zudem begeistert der neue Sportwagen mit innovativen Fügetechniken und einer nachhaltigen Fertigung.

Moderne Karosserien bestehen aus einem Mix aus Materialien. Wurde der Fahrzeugrohbau früher hauptsächlich aus kaltverformtem Stahlblech hergestellt, kommt heute daneben vor allem das leichtere Aluminium zum Einsatz. Wichtigstes Ziel dieses Materialmixes – auch „Mischbau“ genannt – ist die Gewichtsreduzierung: Leichtbau lautet die Devise – und das nicht nur, um Kraftstoff zu sparen oder schneller vom Fleck zu kommen. Leichtbau führt, in Kombination mit anderen technischen Massnahmen wie mitlenkenden Hinterachsen und erhöhter Steifigkeit der Fahrgastzelle, auch zu mehr Stabilität und Sicherheit.

Ein kurzer Blick in die Vergangenheit zeigt diese Entwicklung: Die Karosserie des 911 von 2004 (Typ 997) bestand noch komplett aus Stahlblech, während beim Nachfolgemodell von 2011 (Typ 991) Unterbau und Dach aus Alublech gefertigt waren. Der Alu-Unterbau wurde beim neuen Typ 992 beibehalten, zusätzlich haben die Entwickler aber auch den Stahlanteil um deutlich mehr als die Hälfte reduziert – er beträgt jetzt nur noch knapp 30 Prozent. Gleichzeitig nahm die Menge an Aluminium erneut zu, um den Leichtbau voranzutreiben.

Beim Leistungsgewicht gilt: je niedriger, desto besser

Wobei „leicht“ nicht automatisch „immer leichter“ bedeutet. Denn entscheidend ist das Verhältnis von Masse zur Motorleistung, das „Leistungsgewicht“ – also der Quotient aus Masse und maximaler Antriebsleistung, angegeben in kg/kW. Es gilt: Je niedriger dieser Wert ist, desto besser. Das zeigt auch die Geschichte des 911, bei dem das Leistungsgewicht  deutlich gesunken ist.

Dass das Leistungsgewicht des neuen 911 sinken konnte, liegt nicht nur an seiner stärkeren Motorisierung, sondern insbesondere auch an konsequentem Leichtbau. „Leichtbau ist Teil der Porsche-DNA, das Thema Gewichtsoptimierung stand bei uns schon immer ganz oben auf der Agenda,“ sagt Jens Christlein, Leiter Entwicklung Karosseriestruktur bei der Porsche AG.

„Das Thema Gewichtsoptimierung stand bei uns schon immer ganz oben auf der Agenda.“ Jens Christlein

Im aktuellen 911 bestehen die Seitenteile darum erstmals komplett aus Aluminium, was das Gewicht der Seitenteile um zwölf Kilogramm reduziert – ohne dass die Stabilität leidet. Ihre Entwicklung stellte alle Beteiligten vor grosse Herausforderungen, weil Aluminium weniger günstige Materialeigenschaften hat als Stahl. „Es neigt viel eher zum Reissen, wenn es beim Verformen gezogen wird. Deshalb muss man die Bauteile viel intensiver entwickeln“, erläutert Christlein. Ein unverzichtbares Werkzeug bei der Entwicklung waren darum Ziehsimulationen am Computer, mit denen die Entwickler das Materialverhalten überprüfen konnten.

Entscheidend war zudem die enge Zusammenarbeit aller Abteilungen, vom Design bis zum Porsche-eigenen Werkzeugbau: In wöchentlichen Sitzungen wurde immer wieder an den Details gefeilt, bis alle Design- und Qualitätsanforderungen erfüllt waren – teilweise mussten sich die Spezialisten Millimeter um Millimeter an das Optimum heranarbeiten. „Die eigentliche Kunst ist, beides zu kombinieren: die extrem emotionale Optik des neuen Porsche 911 und den Leichtbau“, so Christlein. Dabei halfen jahrzehntelange Erfahrung ebenso wie das Durchhaltevermögen der Ingenieure: Bis zur Fertigungsreife hat der Prozess gut zwei Jahre gedauert.

Mehr Aluminium, weniger Stahl: So könnte man den Materialmix des neuen 911 (Typ 992) kurz zusammenfassen

Neben den Seitenteilen aus Aluminium kommt im aktuellen 911 eine Reihe weiterer innovativer Leichtbau-Techniken und -Methoden zum Einsatz. So schafft der vermehrte Einsatz von Druckgussteilen – unter anderem für die vorderen Federbeinaufnehmer und die hinteren Tunnelglocken – mehr Freiheit im Rohbau, weil sie eine hohe geometrische Variabilität ermöglichen. Zudem lassen sich mit ihrer Hilfe viele Funktionen in einem einzigen Bauteil vereinen – etwa durch die Integration von Verschraubdomen oder durch Verrippungen, um ein Bauteil zu verstärken. In der klassischen Blechbauweise sind dafür mehrere Komponenten nötig, was neben einer höheren Komplexität in der Fertigung auch zu höherem Gewicht führt. Verstärkt werden die Vorteile von Gussteilen im neuen 911 dadurch, dass sie aus dem leichten Aluminium gefertigt sind.

Aluminium findet sich in der Neuauflage des 911 auch vermehrt als Material für Strangpressprofile, zum Beispiel bei den vorderen und hinteren Längsträgern. „Wenn es die Geometrie und die Randbedingungen zulassen, ist ein Alu-Strangpressprofil hervorragend geeignet, um mit geringen Werkzeugkosten sehr komplexe Profile darzustellen“, sagt Christlein. Die unterschiedlichen Anforderungen – etwa an die Belastbarkeit – werden durch unterschiedliche Materialdicken erfüllt.

Nachhaltige Produktion: Kombination von Wärmebehandlung und Lackierung

Eine andere Innovation macht die 911-Fertigung nachhaltiger: die Kombination der Wärmebehandlung der Gussteile mit dem Lackiervorgang. Gussteile müssen nach dem Giessen einer Wärmebehandlung unterzogen werden, um die gewünschten Materialeigenschaften zu erhalten. „Frisch aus dem Guss haben sie zum Beispiel noch nicht die erforderliche Duktilität – sie bestimmt, wie sich die Teile bei einem Crash verformen“, so Christlein. Die Wärmebehandlung ist darum die eigentliche Kunst bei der Gussteileherstellung. Allerdings ist sie auch sehr zeit- und energieintensiv. Porsche nutzt bei der Fertigung des neuen Porsche 911 die Wärmeenergie für die Lackierung, um den Gussteilen gleichzeitig die erforderliche Festigkeit und Duktilität mitzugeben.

„Wir stellen uns die Frage nach dem Material jedes Mal neu und bekommen auch jedes Mal eine neue Antwort.“ Jens Christlein

Die steigende Zahl von Materialien im Karosserierohbau erhöht auch die Vielfalt der eingesetzten Fügetechniken, was sich zum Beispiel bei der Verbindung von Stahl und Aluminium zeigt: Klassisches Punktschweissen ist hier nicht möglich, sodass das Schweissen mit Reibelementen zum Einsatz kommt. Dabei wird der Bolzen, der die Teile später zusammenhält, in Drehung versetzt und gegen ein Widerlager auf die übereinander liegenden Blechteile gedrückt. Durch die entstehende Wärmenergie schmilzt er sich durch beide Bleche und verbindet sie beim Erkalten. Ganz ähnlich funktionieren Flowdrill-Schrauben: Man treibt sie mit hoher Geschwindigkeit ins Material, das durch die Wärmeentwicklung formbar wird. So schafft die Schraube ein Gewinde, in dem sie fest angezogen werden kann, um die Materialien zu verbinden.

Der aktuelle Rohbau des 911 ist innerhalb der Baureihe der bisherige Höhepunkt beim Leistungsgewicht. Doch damit geben sich die Entwickler nicht zufrieden und denken bereits über neue Leichtbaukonzepte nach, etwa mit Materialien wie Magnesium oder Carbon. Letztendlich hängt ihr Einsatz aber von der Wirtschaftlichkeit ab. Das Ende der Fahnenstange ist beim Leichtbau jedenfalls noch lange nicht erreicht, wie Christlein betont: „Wir stellen uns die Frage nach dem Material jedes Mal neu und bekommen auch jedes Mal eine neue Antwort.“

Info

Text: Jost Burger

Text erstmalig erschienen im Porsche Engineering Magazin, Nr. 1/2019

Dieser Beitrag wurde vor dem Start des Porsche Newsroom Schweiz in Deutschland erstellt. Die genannten Verbrauchs- und Emissionsangaben richten sich daher nach dem Prüfverfahren NEFZ und wurden unverändert übernommen. Alle in der Schweiz gültigen Angaben nach WLTP-Messzyklus sind unter www.porsche.ch verfügbar.

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Verbrauchsangaben

911 Carrera S

WLTP*
  • 11,1 – 10,1 l/100 km
  • 251 – 229 g/km

911 Carrera S

Kraftstoffverbrauch / Emissionen
Kraftstoffverbrauch kombiniert (WLTP) 11,1 – 10,1 l/100 km
CO₂-Emissionen* kombiniert (WLTP) 251 – 229 g/km
Effizienzklasse: G