Maximale Performance heisst auch: Liebe zum Detail. Das beweist der Taycan schon auf den ersten Metern. Ein sommerlicher Regenschauer zieht über die Autobahn. Bevor der Scheibenwischer seine Arbeit zu verrichten beginnt, verflüchtigen sich die Tropfen auf der ganzen Fläche der Windschutzscheibe schnurgerade nach oben. Ein Indiz für zahllose Stunden Feinarbeit der Ingenieure: Die Aerodynamik der elektrischen Limousine wurde perfektioniert. Der Luftstrom liegt sauber an der Karosserie an und erzeugt keine Verwirbelungen. Davon zeugt auch die beeindruckende Stille, die entsteht, sobald wir die Regenwolken hinter uns gelassen haben. Windgeräusche? So gut wie nicht vorhanden.
Was das bringt? Geringerer Luftwiderstand, weniger Verbrauch und damit mehr Reichweite. Allein die neuen 20 Zoll grossen Turbo Sport Aero-Räder bringen, im Vergleich zu einer herkömmlichen Felge, rund 40 Kilometer an Reichweite. Und Reichweite ist auf der bevorstehenden Reise mehr als willkommen. Durch Frankreich und den Eurotunnel nach London, mit der Fähre und über Belgien, Holland und Deutschland zurück in die Zentralschweiz. Mehr als 2’000 Kilometer durch Europa mit einer Frage im Gepäck: Schlägt der neue Taycan wirklich ein neues Kapitel auf? Spielen darin Reichweite und Ladezeiten beim Elektroauto endlich keine Rolle mehr?
Läuft bei ihm
Schon auf der ersten Etappe durch Frankreich bleibt mehr als genug Zeit, über diese Fragen nachzudenken. Denn der Akkustand sinkt ungewohnt langsam. Besonders auf der Autobahn zeigt der Stromer eine erstaunliche Effizienz. Die geringen Fahrtwiderstände treffen auf einen weiter verbesserten Antriebsstrang mit weiterentwickelter Batterie, der im Falle der verbauten Performance-Batterie Plus 97 kWh nutzbare Energie speichert. Das sind 13,3 kWh mehr als beim Vorgänger, obwohl das Hochvoltbatteriepaket um acht kg leichter geworden ist. Damit kommt der Taycan auf bis zu 679 Kilometer Reichweite nach WLTP – und beweist sogar bei höherer Durchschnittsgeschwindigkeit Ausdauer. Auf der leicht abfallenden Anfangsetappe in Richtung Basel mit einigen langsamen Passagen sinkt der Verbrauch auf weniger als 15 kWh pro 100 km. Auch in Frankreich mit konstanten 130 km/h bleibt der Verbrauch noch unter 18 kWh. 500 km am Stück sind also problemlos machbar. Erst nach 460 km und mit 13 % Rest im Akku schlägt das Navi den ersten Ladestopp in Haudiomont vor.
Kaffeepause war einmal
Nach gut fünfeinhalb Stunden Fahrt ist eine Pause auch angebracht. Also den Taycan an die Ladesäule anschliessen und die Rast geniessen. Am besten mit einem frischen Kaffee aus der «Bialetti». Nur: Bis der Gaskocher einsatzbereit ist und der duftende Kaffee heraussprudelt, ist der Taycan schon längst wieder bereit. Dank maximal 320 kW Ladeleistung dauert es nur knapp 18 Minuten bis 80% anliegen, nach 10 weiteren Minuten zeigt der Akku gar 95 %. Die Zeiten, in denen man als E-Auto-Fahrer auf das Auto warten musste, sind definitiv vorbei.
Ab auf die Insel
Einen Ladestopp und eine Zugfahrt unter dem Ärmelkanal später rollen wir bereits im Linksverkehr. Mit maximal 70 Meilen pro Stunde (112 km/h) läuft der Taycan erneut mit bester Effizienz und zieht gerade mal um die 16 kWh auf 100 km aus dem Akku. Die 115 Kilometer vom Eurotunnel-Portal in Folkestone bis zum Exhebition Centre London an den Royal Docks im Osten der Stadt gehen locker ohne Ladestopp – und auch für den Rückweg bleibt genügend Strom im Akku. Im «ExCeL» wartet das elektrische Motorsport-Highlight des Jahres: das Saisonfinale der Formel E.
Die Strecke führt durch die Messehalle und über abgesperrte öffentliche Strassen. «Der Track hat viele Bodenwellen und ist zudem sehr eng. Das macht das Überholen schwierig. Aber die Strecke ist für alle gleich», meint Pascal Wehrlein – inzwischen Formel-E-Weltmeister – vor dem Rennen.
Effizienz macht schnell
Wer in der Formel E vorne mit dabei sein will, braucht vor allem Speed. Den gibt es über die Renndistanz aber nur, wenn der Fahrer den Rennwagen nicht nur so schnell, sondern auch so effizient wie möglich um den Kurs jagt. Ein Schlüsselfaktor für möglichst geringen Energieverbrauch: die Rekuperation.
«Der Porsche 99X Electric kann bis zu 350 kW über die Hinterachse und 250 kW über die Vorderachse zurück in den Akku speisen», erklärt Florian Modlinger, Gesamtprojektleiter Formel E bei Porsche. Je nach Strecke kämen so 45 bis 55 % der im Rennen benötigten Energie zusammen. Energie also, die nicht im Akku gespeichert werden muss. «Die Software passt die Rekuperation für jede Kurve individuell an», führt Modlinger aus. «Hier haben wir immer einen Kompromiss, den wir aber optimal lösen wollen.» Denn beim Bremsen soll so viel Energie wie möglich gewonnen werden. Gleichzeitig wünscht sich der Pilot ein konstantes Bremsverhalten und eine maximale Bremsperformance. All das wird über ein Brake-by-Wire-System gelöst, welches Rekuperation und die mechanische Bremse koordiniert. «Die Reibbremse an der Hinterachse kommt nur im Notfall zum Einsatz, sollte ein System versagen. An der Vorderachse wird sie nur in Extremsituationen aktiviert, zum Beispiel wenn der Fahrer für ein Überholmanöver sehr spät bremst», so Modlinger.
Von der Rennstrecke in die Serie
Weil bei Porsche die Entwickler für Serien- und Rennfahrzeuge Schulter an Schulter in denselben Büros sitzen, kommt im Taycan ein ähnliches Prinzip zum Einsatz. Beim Druck aufs Bremspedal verzögert der Elektrosportwagen zunächst ausschliesslich und so viel wie möglich über die Rekuperation – mit bis zu 400 kW. Erst bei härterer Bremsung oder wenn die Batterie nicht genügend Leistung aufnehmen kann, wird die mechanische Bremse zusätzlich aktiviert. Davon bemerkt der Fahrer allerdings nichts. Widerstand und Druckpunkt des Bremspedals werden immer konstant gehalten. Eine technische Meisterleistung, zu welcher der Technologietransfer aus dem Motorsport ebenfalls beiträgt.
Von der Serie auf die Rennstrecke
Dieser Transfer kann aber auch in die andere Richtung beobachtet werden. Denn das Formel-E-Feld wird, wenn nötig, vom offiziellen Safety-Car angeführt: einem Taycan Turbo GT. «Das stärkste Safety-Car aller FIA-Rennserien», wie sein Fahrer Bruno Correia betont. Dank 760 kW (1034 PS) spurtet der schnellste Taycan in nur 2,3 Sekunden auf 100 km/h. «Auf den Geraden können sogar die Formel-E-Rennwagen kaum mithalten», schmunzelt der Portugiese. Trotzdem – oder gerade deswegen – ist für seinen Job viel Feingefühl gefragt. «In den Safety-Car-Phasen muss ich das Feld zusammenhalten und an den richtigen Stellen das Tempo rausnehmen.» Um den Überblick über die Strecke zu behalten, ist im Safety-Car zusätzlich ein Formel-E-Lenkrad anm Armaturenbrett angebracht. Auf diesem Display werden die Flaggen und Anweisungen der Rennleitung eingeblendet. Zudem ist das Führungsfahrzeug mit Warnlichtern, Funk, Überrollkäfig und Rennschalensitzen ausgerüstet. Ansonsten ist der Turbo GT genauso, wie er in Zuffenhausen vom Band rollt. Und auch hier ist effizienter Umgang mit den Ressourcen entscheidend. «Die Reifen halten mehrere Rennwochenenden. Und eine Akkuladung reicht locker für 45 bis 60 Minuten auf der Strecke», so Correia.
Starke Teamleistung
Der Einblick in die Formel E in all ihren Facetten zeigt: Sowohl der Sieg von Pascal Wehrlein in der zehnten Saison der elektrischen Rennserie als auch die überragende Performance des neuen Taycan auf der Langstrecke sind kein Zufall. Sie resultieren aus zahllosen Arbeitsstunden in der Konzeption und im Versuch. Aus der Leidenschaft, maximale Performance aus den gegebenen Ressourcen zu holen. Und vor allem aus viel Liebe zum Detail.
Der Lohn für diese Mühe: Den Weg zurück in die Schweiz spult der Taycan mit einer für E-Autos bislang unbekannten Selbstverständlichkeit ab. An einem Tag durch fünf Länder mit zwei Ladestopps à rund 20 Minuten? Gar kein Problem!
Info
Autor: Philipp Aeberli
Fotos: Stefan Schlumpf und Andi Mayr