Ein Zufall mit ungeahnten Folgen

Bei einer sportlichen Ausfahrt mit ihrem Porsche 911 Cabriolet entflammte bei Lilian Bryner vor mehr als 30 Jahren die Liebe zum Motorsport. Bis heute ist die Tessinerin die einzige Frau, die jemals den traditionsreichen Porsche Cup gewann. 

Nein, dieser zierlichen Person sah man vor 30 Jahren den Willen und das Potenzial zu einer der besten Rennfahrerinnen ihrer Zeit nicht an. Von einer bereits 32-jährigen Tessinerin, die den Motorsport bis dahin kaum wahrgenommen und erst durch einen Trackday im privaten Porsche 911 Carrera Cabriolet in Monza zufällig liebgewonnen hatte, erwartete niemand etwas. Doch die am 21. April 1959 in Mailand als Tochter eines Schweizer Unternehmerpaares geborene Lilian Bryner hatte den Sport im Blut.

Nach ersten Lorbeeren als Spring- und Vielseitigkeitsreiterin in der Schweizer Nationalmannschaft, Fallschirmspringen und Tiefseetauchen hat die studierte Betriebswirtin und in den USA ausgebildete Berufspilotin ein neues Hobby entdeckt, das sie fortan wettkampfmässig betreiben will. Sie löst für 1991 eine Lizenz und fährt mit einem Porsche 944 Turbo im italienischen Clubsport mit, daneben startet sie bei Schweizer Rennen. Die Resultate sind noch nicht berauschend, doch feiert sie mit ihrem Mann Michele Keller beim Internationalen Schweizer 3-Stunden-Rennen in Hockenheim immerhin den Klassensieg über vier andere Porsche-Paarungen. Die Leidenschaft für den Motorsport ist nun richtig entbrannt, während die Liebe zu ihrem Mann nach der Geburt des zweiten Kindes erlischt. Lilian Bryner geht nun eigene Wege.

Danièle von Ballmoos, Lilian Bryner, Porsche Schweiz AG
Danièle von Ballmoos, Fahrerin im Team des Porsche Zentrum Basel, holte sich Tipps von der erfolgreichen Tessiner Rennfahrerin.

Was sie anfängt, macht sie weiterhin mit Eifer und ist daher auch im Rennsport gleich mit vollem Engagement dabei. „Ich wollte mich laufend steigern, um zu lernen“, blickt sie auf den Beginn zurück. „Wenn man das ganze Leben als Wettbewerb auffasst, hat man es leichter.“ Einfach macht sie es sich mit dem Einstieg in die Porsche Carrera Trophäe im Jahr darauf allerdings nicht. Im  Gegenteil, auch in der parallel zum Porsche Carrera Cup Deutschland ausgetragenen Markenserie tummeln sich Routiniers und Heisssporne. Nicht zum ersten Mal bewegt sich Lilian Bryner in einer Männerdomäne – diesmal aber in einer, in der es Frauen schwerer haben.

Ich wuchs als kleine Schwester neben zwei Brüdern auf. Auch das machte mich stark. Lilian Bryner

Einschüchtern lässt sie sich nicht, die Vorurteile motivieren sie eher noch. „Ich wuchs als kleine Schwester neben zwei Brüdern auf. Auch das machte mich stark.“ Die nach Lugano zurückgekehrte Schweizerin punktet in der Porsche Carrera Trophäe 1992 regelmässig, setzt als Vierte in Spa-Francorchamps ein erstes Ausrufezeichen und beendet die Meisterschaft als achtbare Vierzehnte. Der Titel geht an ihren Landsmann Enzo Calderari, der ein Auge auf sie geworfen hat. Nicht primär ihrer äusseren Erscheinung wegen, sondern weil der fast genau sieben Jahre ältere Bieler mit dem Mühlbauer-Team in den neuen Porsche-Markenpokal im Rahmen der Formel 1 wechseln will und zwecks Kostensplittings einen Teampartner sucht. Warum nicht eine ehrgeizige Frau? „Lilian war eine Draufgängerin“, erinnert er sich. „Und sie lernte sehr schnell gut Autofahren.“

Lilian Bryner, Enzo Calderari, Porsche Schweiz AG
Wenn Location und Zeitplan passen, begleitet Lilian ihren Gatten Enzo Calderari bei dessen Renneinsätzen als Zuschauerin.

Enzo Calderari sollte seine Entscheidung nie bereuen und in Lilian Bryner sogar eine Partnerin fürs Leben finden. Auch wenn sie heute zugibt, dass sie eigentlich zu schnell auf hohem Niveau fuhr, verschafft sie sich schon in der zweiten vollen Rennsaison Respekt. Vor allem mit dem 14. Platz in Monaco, mit dem sie die Formel-1-erfahrene Italienerin Giovanna Amati und etliche Männer in den Schatten stellt, oder dem 24. Rang unter 56 Konkurrenten beim Sonderlauf zum Porsche Carrera Cup Deutschland auf der Nürburgring-Nordschleife. Der frühe Ausfall bei den 24 Stunden von Le Mans 1993 ist für Lilian und Enzo zwar eine sportliche Enttäuschung. Dafür begünstigt der erste gemeinsame Renneinsatz die private Liaison – ab sofort treten sie auf und neben der Rennstrecke als Paar auf, das sich aber erst 2012 das Jawort gibt.

Enzo Calderari, Lilian Bryner, Porsche Cup, 1995, Porsche AG

Es ist gleichzeitig der Beginn einer sportlichen Erfolgsgeschichte, die mit dem Wechsel zum Team Stadler Motorsport aus Reinach AG und hin zu Langstreckenrennen aufgegleist wird. Mit einem 911 Carrera RSR 3.8 und wechselnden dritten und vierten Teampartnern macht das Schweizer Mixed-Team mit dem 15. Gesamtrang bei den 24 Stunden von Daytona und dem neunten Gesamtrang bei den 12 Stunden von Sebring früh auf sich aufmerksam. Dazwischen beenden sie die Premiere der sogenannten BPR-Serie für GT-Autos in Le Castellet als Klassendritte erstmals auf dem Podium, im Juni folgen in Le Mans der sensationelle zweite Platz in der GT2-Klasse und der Sieg bei den 4 Stunden von Jarama.

Die Saison 1995 beginnt mit dem Klassensieg im altbewährten Carrera RSR in Daytona und dem siegreichen Debüt mit dem nur wenige Stunden vorher vom Werk in Empfang genommenen 911 GT2 bei den 4 Stunden von Jerez. In Jarama, auf dem Nürburgring, in Nogaro und bei den 1.000 Kilometern von Suzuka in Japan gelingen Bryner/Calderari weitere Volltreffer, die am Jahresende zum GT2-Titel in der BPR-Serie und zweiten Gesamtrang hinter einem GT1-Team führen. 

Krönender Höhepunkt zum Saisonende ist jedoch der Gewinn des prestigeträchtigen Porsche Cup. Nie zuvor und danach hat mit Lilian Bryner neben Enzo Calderari eine Frau diese traditionsreiche und damals mit insgesamt 300.000 DM dotierte Wertung der weltweit erfolgsreichsten Porsche-Kundensportler für sich entschieden. Ihre Vorgänger waren von Privatteams engagierte Profis wie Bernd Schneider, Bob Wollek, Klaus Ludwig und Jochen Mass.

Für Amateure, als die Nicht-Profis heute noch ohne abwertende Bedeutung bezeichnet werden, gab es fast nichts Grösseres zu gewinnen. „Wir hatten nicht nur ein sehr zuverlässiges Team und Auto, sondern auch das nötige Glück“, bleibt ihnen im Bewusstsein. Denn mit demselben RSR wiederholen sie in Daytona 1996 den Klassensieg, kommen bei sporadischen Einsätzen mit dem 911 GT2 in der BPR-Serie aber nicht mehr an die Vorjahreserfolge heran. Nach einer weiteren Saison mit wenigen Rennen in der neuen FIA-GT-Meisterschaft, Nachfolgerin der BPR-Serie, und in den USA wird ein radikaler Szenen- und Markenwechsel vollzogen, der 2004 im Triumph bei den 24 Stunden von Spa gipfelt. Es ist der grösste Gesamtsieg des Schweizer Paars, das ein Jahr später einen Schlussstrich unter das gemeinsame Rennabenteuer zieht.

Lilian Bryner, Porsche Schweiz AG
Lilian Bryner war als Fahrerin auf allen Porsche-Modellen schnell.

Lilian hängt ihren Helm bald darauf für immer an den Nagel, während Enzo bis heute, mit bald 70 Jahren, bei vereinzelten Läufen zum Porsche Sports Cup Suisse immer noch Gas gibt. „Es gab für mich keine neue bezahlbare Herausforderung mehr. Der Reiz war weg, mehr konnten wir nicht mehr erreichen“, blickt Lilian Bryner ohne Bedauern zurück. Heute verfolgt die inzwischen 62-jährige Grossmutter den Rennsport höchstens noch als Begleitung ihres Mannes. 

Könnte sie das Rad der Zeit zurückdrehen, würde Lilian vor Erreichen der Volljährigkeit nicht den Reitsport, sondern den Motorsport forcieren. „Ich würde zu den Rennwagen tendieren. Ich hatte keine Erfahrung und war beim Einstieg schon zu alt. Heute können sich auch Mädchen Gedanken über den Motorsport machen. Es gibt sogar eine eigene Formelserie für Frauen und Damenteams in Le Mans. Mich interessierten andere Frauen damals aber gar nicht. Ich fühlte mich nicht als Rennfahrerin, sondern wollte unter Männern einfach mein Bestes geben.“

Info

Text erstmalig erschienen im Porsche-Magazin Christophorus, Nr. 402.

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718 Cayman GT4 RS

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