Galt es doch, zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte keinen zweitürigen Sportwagen zu zeichnen, sondern ein SUV – gewissermassen genau das Gegenteil: ein grosses, hoch bauendes Auto mit vier Türen und Platz für fünf Personen samt Gepäck. Überdies benötigte der Cayenne viel mehr Bodenfreiheit als ein klassischer Sportwagen, weil er auch abseits der Strasse zu den Besten zählen sollte. Intern trägt der Cayenne denn auch den Kennbuchstaben E für Enduro; der erste Cayenne wird E1 genannt, das aktuelle Modell ist der E3.

„Selbstverständlich war es nicht ganz einfach, die Identität der Marke Porsche in einem Fahrzeug zum Ausdruck zu bringen, das absolut nichts gemeinsam hat mit den bisherigen Modellen unseres Hauses“, sagte Lagaay nach getaner Arbeit. Die Designer hatten allein mit den Scheinwerfern ein volles Jahr zu tun. Sie sollten nicht nur Abblend-, Fern- und Kurvenlicht beherbergen und die klaren Linien der Cayenne-Karosserie nicht stören, sondern sie gehörten zu den Bauteilen, die die Markenidentität sicherstellten.

Cayenne, 911, 2022, Porsche AG
Schon der erste Cayenne war auf den ersten Blick als Porsche erkennbar.

Jeder erkennt heute noch das Gesicht des Porsche 911 der Baureihe 996 im Antlitz des ersten Cayenne. Unterstützt wurde dieser Eindruck von der sogenannten Topografie der Frontpartie: Der höchste Punkt der Kotflügel und der Scheinwerfer liegt höher als die Motorhaube – ein entscheidendes Kennzeichen für einen Porsche, weil diese Topografie den Bezug zum Design der Ikone 911 herstellt. Beim Cayenne mit seinem grossen Achtzylinder unter der Fronthaube war diese spezielle Gestaltung allerdings deutlich schwieriger zu verwirklichen.

Aus dem Produkt Porsche wurde eine Marke

Weiteres Merkmal der 911-Fronthaube ist die auffällige Verjüngung nach vorne. Das wollten die Designer auch für den Cayenne übernehmen, doch die Ingenieure schlugen zunächst eine quadratische Motorhaube vor. Dann wäre man leichter an Luftfilter und Scheinwerfer herangekommen. An diesem Punkt setzten sich die Designer durch, arbeiteten mit den Entwicklern aber auch an nicht sichtbaren Bereichen: Gemeinsam fand das Team beispielsweise eine optimierte Anordnung des Luftfilters.

Cayenne, 2022, Porsche AG
Der höchste Punkt der Kotflügel und der Scheinwerfer liegt höher als die Motorhaube – ein entscheidendes Kennzeichen für einen Porsche.
Cayenne, 2022, Porsche AG
Modellierung des Cayenne im Design-Studio von Porsche in Weissach

Dass Porsche im Rahmen des intern „Colorado“ getauften Entwicklungsprojektes einen solchen Aufwand bei Gestaltung und Konstruktion nicht scheute, stellt auch Michael Mauer zufrieden. Er folgte 2004 auf Harm Lagaay als Chefdesigner: „Für mich hat der Cayenne mit einer grundsätzlichen Frage zu tun: Egal mit welchem Fahrzeugkonzept man die Sportwagen 911 und Boxster ergänzt hätte – der Schritt zum dritten Porsche machte aus dem Produkt eine Marke. Und das Design hat einem Auto, das von seinen Proportionen her maximal weit weg vom Sportwagen ist, eine Porsche Identität gegeben, die über das Markenzeichen hinausgeht.“

Als Belege gelten heute noch die ausgeprägte Schulter am Heck des Cayenne E1, an deren Gestaltung Ferdinand Alexander Porsche massgeblich beteiligt war, die glatten Flächen der Karosserie und der Verzicht auf einen klassischen Kühlergrill zwischen den Scheinwerfern. Diese starken, für einen Porsche typischen Merkmale liessen denn auch die vergleichsweise grossen Lufteinlässe in der Frontschürze weniger ins Gewicht fallen. Ein Frontmotor benötigt Luft zur Verbrennung und zur Kühlung. Porsche Kunden waren vordere Lufteinlässe schon von den Sportwagen gewöhnt. Hier zeichnen sie für die Bremsenkühlung verantwortlich.

Die Türen als grösste Design-Herausforderung

Als schwierigste Design-Herausforderung beschreibt Mauer die Seitenlinie des Fahrzeugs. Der Cayenne entstand zusammen mit dem VW Touareg, darum sind Windschutzscheibe und alle vier Türen beider SUVs identisch. „Man unterschätzt leicht, dass die Türen die Seite eines Autos definieren. Hinter der hinteren Tür habe ich vielleicht noch einen Meter, vorne etwas mehr, da lässt sich nicht mehr so viel machen“, sagt Michael Mauer, der es erstmals beim 2007 erschienenen Facelift des E1 mit dem Porsche SUV zu tun bekam.

Design-Entwurf von Matthias Kulla, 1998, Porsche AG
Mit der Entscheidung, ein „sportliches Mehrzweckfahrzeug“ entwickeln zu wollen, stellte Porsche seine Design-Abteilung vor grosse Herausforderungen. Hier ein Design-Entwurf von Matthias Kulla von 1998.

„Beim E1 II haben wir dem Ganzen mehr optische Schärfe und Prägnanz gegeben“, erinnert sich Mauer. Das Türen-Thema aber blieb und damit auch die Schwierigkeit, ein „schnelles“ Heck zu gestalten – also möglichst schräg nach hinten auslaufend wie bei einem Sportwagen. Bei Porsche spricht man in dem Zusammenhang von der „Flyline“. Wenn aber die Türen unveränderbar sind und ein Abfallen des Dachzuges verhindern, bleibt nach hinten nur noch wenig Raum, um eine Flyline zu schaffen, die auch der Kunde als charakteristisch erkennt. Die verbleibenden Lösungsmöglichkeiten waren eine „schnellere“ Gestaltung der starren Seitenscheiben hinter den Fondtüren sowie der Spoiler zur Streckung des Dachzuges.

Kompromisse im Innenraum

Insgesamt ist der erste Cayenne durch seine formale Klarheit und die Hervorhebung Porsche typischer Elemente auch aus heutiger Sicht ein stimmiges Mitglied der Modellpalette. Der Innenraum des E1 war indes stark von Volkswagen beeinflusst. „Das Interieur kann die Verwandschaft zum Touareg kaum verleugnen“, sagt Markus Auerbach, Leiter Interieur Design Style Porsche. Kompromisse ging Porsche etwa beim markentypischen Fünf-Tuben-Design im Kombiinstrument ein. Zwar sind fünf ineinander verschachtelte Ringe vor dem Lenkrad zu sehen, doch der Drehzahlmesser sitzt nicht wie bei Porsche üblich in der Mitte, sondern links.

Cayenne, 2022, Porsche AG
Das Interieur der ersten Cayenne-Generation: Das Zündschloss befindet sich Porsche-typisch links vom Lenkrad.

Für die übliche Porsche-Anordnung hätte man ein eigenes Kombiinstrument entwickeln müssen – eine Investition, die für die erste Cayenne-Generation nicht vorgesehen war. Einige charakteristische Elemente konnte Porsche dennoch einbringen: das eigene Dreispeichen-Lenkrad, Haltegriffe an der Mittelkonsole, die die enorme Geländegängigkeit des SUV dokumentieren sollten, und das Zündschloss, das bei jedem Porsche an der gleichen Stelle zu finden ist – links vom Lenkrad.

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