Wir hören schon seit Wochen von Lieferproblemen bei Halbleitern. Davon sind auch die Automobilhersteller stark betroffen. Wie steht es aktuell um die Lieferkette bei Porsche?
Uwe-Karsten Städter: Die ganze Industrie ist von der Halbleiter-Knappheit betroffen. Eine schwierige Situation für alle. Bei Porsche haben wir die Fertigung unserer Fahrzeugmodelle planerisch so optimiert und gesteuert, dass wir bislang glimpflich davongekommen sind.
In den vergangenen Wochen und Monaten haben sich einige Ereignisse aneinandergereiht, die der Wirtschaft erheblichen Schaden zufügen…
Städter: In der Tat. Angefangen hat es mit der Corona-Pandemie, dann kam die Halbleiter-Knappheit hinzu. Zuletzt fielen einige Halbleiter-Werke durch Stromausfälle und Brände aus. Und ein Schiff im Suezkanal blockierte die Seefrachtroute zwischen Asien und Europa. Ausserdem wird in Taiwan wegen der schlimmsten Dürre seit mehr als 50 Jahren, das – auch für die Chipindustrie wichtige – Wasser knapp. Die Lieferprobleme könnten sich ausweiten. Die taiwanesischen Chiphersteller stehen für fast zwei Drittel der globalen Halbleiter-Fertigung und arbeiten schon heute am Anschlag. Eine solche Aneinanderreihung von Ereignissen habe ich in meiner gesamten 47-järigen Berufslaufbahn noch nie erlebt.
Haben Sie für fehlenden Bauteile aus Asien – mal abgesehen von den Halbleitern – alternative Lieferanten in Europa?
Städter: Porsche ist ein Premiumhersteller. Grundsätzlich arbeiten wir mit etablierten, hoch-spezialisierten Lieferanten zusammen. Es geht um Bauteile mit Gebrauchsmusterschutz, die wir auch mit den Lieferanten gemeinsam entwickeln. Dahinter stehen komplexe Lastenhefte, detailliert geprüft von unserer technischen Entwicklung und Qualitätssicherung. Diese Teile können wir nicht auf die Schnelle bei einem anderen Lieferanten bestellen. Wir legen Wert auf langjährige Partnerschaften. Unsere Lieferanten lassen wir in einer Krise nicht alleine.
Insgesamt zeigen die Ereignisse auf, wie fragil diese globalen Lieferketten sind. Wird sich die Lieferkette in Zukunft ändern? Werden die Konsequenzen daraus sein, dass man weggeht von der Globalisierung und wieder mehr zum Local Sourcing wechselt? Oder welche Konsequenzen erwarten Sie?
Städter: Die Globalisierung lässt sich nicht zurückdrehen. Klar ist: Vom globalen Welthandel profitieren alle. Ein Mehr an lokaler Produktion ist kein Allheilmittel. Ein Beispiel: Wir haben einen Single Source-Lieferanten in Italien. Während der Corona-Pandemie musste dieser Partner die Produktion auf Anweisung der Regierung einstellen. Etwas Ähnliches könnte auch bei einem Lieferanten direkt um Ecke passieren, wenn es in Deutschland pandemiebedingt oder aus anderen Gründen zu Lieferengpässen kommt. Allerdings gehe ich davon aus, dass wir mittelfristig Änderungen sehen. Denn politische Abschottungstendenzen verstärken sich – nationaler Protektionismus nimmt gleichzeitig zu. In diesem Szenario ist es möglich, dass einige Unternehmen die Supply Chain dichter an die Produktion bringen.
Porsche hat im Juli 2019 offiziell mit seinem Sustainability Rating ein weiteres verbindliches Kriterium im Vergabeprozess eingeführt.
Städter: Die Nachhaltigkeit beschäftigt uns im Vergabeprozess schon lange. Mit dem Sustainability Rating oder S-Rating überprüfen und bewerten wir alle Lieferanten, die mit uns Geschäfte machen, in Punkto Nachhaltigkeit. Dabei sind wir konsequent: Erfüllt ein Lieferant die Nachhaltigkeitskriterien nicht, schliessen wir ihn von der Vergabe aus. Zusätzlich haben wir bei Porsche eingeführt, dass ein potenzieller Lieferant darlegen muss, welche Ziele er beim Klimaschutz verfolgt. Wir fragen genau nach, in welche Umweltprojekte investiert oder ob zum Beispiel grüner Strom genutzt wird. Es geht darum, dass wir gemeinsam mit unseren Lieferanten das Richtige tun.
Sie arbeiten beim S-Rating seit kurzem auch mit einem Startup zusammen. Möchten Sie erklären, was genau Sie da machen?
Städter: Wir nutzen seit Herbst vergangenen Jahres Künstliche Intelligenz, um die Lieferkette transparenter zu machen. Damit können wir insbesondere kritische Rohstoffregionen besser analysieren und potentielle Nachhaltigkeitsrisiken schneller aufdecken. Die Basis bildet ein intelligenter Algorithmus des österreichischen Startups Prewave. Mit der Technologie werden lieferantenbezogene Nachrichten aus öffentlich zugänglichen Medien und sozialen Netzwerken in mehr als 50 Sprachen und aus über 150 Ländern identifiziert und ausgewertet. Bei Anzeichen von Risiken in der Lieferkette prüfen wir direkt den Sachverhalt und die Einleitung von Gegen-Massnahmen.
Porsche will bis 2025 die Hälfte der Fahrzeuge elektrifiziert haben. Das bedarf neuer, starker Lieferanten. Wie gehen Sie als einkaufendes Unternehmen damit um, nicht mehr der dominante Partner zu sein?
Städter: Porsche ist so erfolgreich, weil sich das Unternehmen immer verändert hat. Das tun wir auch bei der Elektrifizierung – wir denken in Chancen. Mit dem Elektroantrieb haben wir bei Porsche Neuland betreten. Diese Mischung neuer Komponenten und Lieferanten war eine grosse Herausforderung. Und natürlich kann es passieren, dass mit neuen Partnern nicht alles vom ersten Tag an reibungslos funktioniert. Wichtig war die gute Vernetzung der Beschaffer mit der technischen Entwicklung: Sie arbeiten eng mit den Baureihen und der Qualitätssicherung zusammen. Das hat allen Beteiligten geholfen, die neuen Technologien schnell zu durchdringen. Dann sind wir in den intensiven Austausch mit den Lieferanten gegangen. Das hat sehr gut funktioniert. Man sieht es am Taycan, unserem ersten vollelektrischen Sportwagen. Wir haben daran mit Herzensblut gearbeitet. Der Einsatz hat sich gelohnt: Im letzten Jahr haben wir 20.000 Fahrzeuge an die Kunden ausgeliefert. Das Fahrzeug ist hoch innovativ und hat bislang über 45 Auszeichnungen weltweit bekommen – so viele wie noch kein Porsche zuvor.
Wie sieht es in Punkto Weiterbildung bei Porsche aus?
Städter: Wir bilden unsere Mitarbeiter permanent weiter. Das fängt am ersten Arbeitstag an, und zieht sich mit massgeschneiderten Programmen durch die ganze Laufbahn. Beschaffung bedeutet für mich, Werte schaffendes Wachstum zu erzeugen. Das erreicht man nur mit top-ausgebildeten Leuten, die kontinuierlich an ihren Fähigkeiten arbeiten, sich weiter verbessern. Dass unsere Angebote gut angenommen werden, zeigen unsere unternehmensinternen Mitarbeiterbefragungen. Die Porsche-Beschaffung schneidet seit Jahren hervorragend ab: mehr als 90 Prozent der Kollegen sagen, dass sie mit ihrem Job sehr zufrieden sind.
Gemeinsam mit Siemens Energy und einer Reihe von internationalen Unternehmen entwickelt und realisiert die Porsche AG in Chile ein Pilotprojekt, aus dem die weltweit erste integrierte und kommerzielle Grossanlage zur Herstellung synthetischer, CO₂-neutraler Kraftstoffe (eFuels) hervorgehen soll. Welche Rolle hat der Einkauf bei diesem Projekt gespielt?
Städter: Dieses Projekt haben mein Kollege Michael Steiner und ich gemeinsam initiiert. Die Entwicklung hat den technischen Teil der regenerativen Kraftstoffe vorangetrieben, während mein Team für die Partnersuche und das Vertragliche zuständig war. Über einen Lenkungskreis haben wir uns permanent abgestimmt. eFuels sind uns eine Herzensangelegenheit. Wir sehen uns dabei als Pioniere: Schon im nächsten Jahr werden wir rund 130.000 Liter aus Chile beziehen, die wir dann in den Rennsportfahrzeugen des Porsche Supercups testen. Perspektivisch wollen wir eFuels auch in unserer Bestandsflotte einsetzen. Zum Beispiel in unserer Ikone, dem 911. Er wird immer einen Verbrennungsmotor haben. Mit eFuels können die Kunden den 911 mit regenerativen Kraftstoffen und gutem Gewissen fahren.
Sie haben eine Traumkarriere im Einkauf hingelegt. Welchen Tipp geben Sie jungen Menschen, die Ähnliches erreichen möchten?
Städter: Man braucht Leidenschaft. Eine Karriere ohne Leidenschaft funktioniert nicht. Ein weiterer Rat: Nehmt Herausforderungen an, sie gehören im Einkauf dazu. Seht die Chancen dabei. Deswegen ist die Beschaffung für mich eine Berufung. Wer das nicht mag, sollte die Finger davonlassen. Jedem Einzelnen, der bei uns arbeitet, sage ich: Ihr müsst brennen für die Sache, mit Feuereifer dabei sein. Und behandelt die Menschen anständig und respektvoll. Nur so kann man langfristig das Optimum erreichen. Die Beschaffung hat sich zudem mit den Jahren gewandelt: Einkäufer sind heute Wertschöpfungspartner. Wir bringen unser Wissen in allen Unternehmensbereiche ein. Das macht den Beruf so vielseitig – ein guter Beschaffer kann es sehr weit bringen.
Info
Text erstmals erschienen in Beschaffung aktuell.
Das Interview führte Sabine Schulz-Rohde.
Dieser Beitrag wurde vor dem Start des Porsche Newsroom Schweiz in Deutschland erstellt. Die genannten Verbrauchs- und Emissionsangaben richten sich daher nach dem Prüfverfahren NEFZ und wurden unverändert übernommen. Alle in der Schweiz gültigen Angaben nach WLTP-Messzyklus sind unter www.porsche.ch verfügbar.