Ort
West Sussex, Grossbritannien
Distanz
1,9 Kilometer
Besonderheit
Eine schnelle und anspruchsvolle Strecke über den berühmtesten Rasen des Motorsports
Wenn man den privaten Teil des Anwesens von Goodwod House betritt, glaubt man zu wissen, wie Harry Potter sich gefühlt haben muss, als er auf dem Bahnhof King’s Cross das Gleis 9¾ fand. Wer einmal das Goodwood Festival of Speed miterlebt hat, und sei es nur vor dem heimischen Fernseher, erkennt so einiges wieder. Die lange, geschwungene Auffahrt. Den weitläufig angelegten, perfekt gepflegten Rasen, auf dem die Supersportwagen während der Veranstaltungswoche stehen. Das Herrenhaus mit seinem grossen Balkon und den mit Kupfer gedeckten Türmen. Doch um die Ecke, vor neugierigen Blicken geschützt, befinden sich zwei beinahe unauffällige elektrische Tore ohne Schild, von denen man unweigerlich annimmt, dass sie einfach verschwinden, sobald man sie passiert hat.
Wir haben kaum geparkt, da kommt ein Butler in einer Art Hauskleid hinter dem Rolls-Royce des Duke of Richmond hervor. Er stellt sich als Monty vor und führt uns durch den geschmackvoll eingerichteten und überraschend wenig herrschaftlichen Teil des Herrenhauses, das vor allem eines ist: das Zuhause einer Familie. Wenn auch eines mit Kunstwerken alter Meister an den Wänden, die genauso gut in einem Nationalmuseum hängen könnten. Monty bietet uns eine Tasse Tee an („Builder’s oder Earl Grey?“) und führt uns weiter in den Garten, wo schon ein gedeckter Tisch auf uns wartet. Er zieht eine Augenbraue hoch, so wie es nur die allerbesten seiner Zunft einzusetzen wissen, und signalisiert damit dem Gärtner, dass er seiner geräuschvollen Tätigkeit des Rasenmähens woanders nachgehen solle, dann verschwindet er wieder. Ein paar Minuten später taucht stattdessen Charlie March auf, der Erbe des Goodwood-Anwesens.
Für diesen Teil der Serie „Auf Ausfahrt“ hat March, ältester Sohn des Duke of Richmond und als solcher offiziell bekannt als Earl of March and Kinrara, eine Strecke ausgewählt, für die er nicht einmal das Gelände des Familienanwesens verlassen muss. Aber warum sollte er auch, wenn dieses Familienanwesen doch Schauplatz des jährlich stattfindenden Festival of Speed mit seinem historischen Hillclimb ist?
Eine der berühmtesten Asphaltstrecken des Motorsports
Zunächst erzählt er, wie es sich anfühlt, wenn die private Auffahrt gleichzeitig eine der berühmtesten Asphaltstrecken des Motorsports ist: „Das ist normaler, als man es sich vorstellt“, erklärt der 26-Jährige. „Aber ohne das ganze Drumherum, ohne die Heuballen und die Supersportwagen, ist es letztendlich nur einfach eine Strasse. Ich habe nicht ständig das Bedürfnis, besonders schnell zu fahren, und sie versetzt mich auch nicht sonderlich in Staunen – bis zum Festival of Speed, da wird sie plötzlich wieder absolut spektakulär!“
Der Hillclimb von Goodwood stellt das Herzstück des Festival of Speed dar, das eine riesige Bandbreite aller möglichen Strassen- und Rennfahrzeuge unterschiedlichen Alters zusammenbringt, die alle gemeinschaftlich einen 1,86 Kilometer langen Sprint bergauf absolvieren. Jedes Jahr lassen sich hier beeindruckende Meisterleistungen der Ingenieurs- und Fahrkunst beobachten, wenn moderne und historische Formel-1- und LMP-Fahrzeuge gemeinsam mit Strassen- und Rallye-Raritäten die engen Schleifen der lang gezogenen Strecke nehmen – manche der Strecke selbst wegen, andere mit der ernsthaften Absicht, eine neue Rekordzeit aufzustellen. Den aktuellen Rekord hält der ehemalige Porsche-Werksfahrer Romain Dumas, der den Gipfel 2019 in einem vollelektrischen VW ID.R in 39,9 Sekunden erreichte.
Die Auffahrt ist schwierig zu fahren
March selbst hegt keine Ambitionen, Dumas seinen Titel streitig zu machen, schon gar nicht unter der Schirmherrschaft seines ebenso autoverrückten Vaters (der einen 911 GT2 RS sein Eigen nennt): „Auch wenn es einfach nur eine Strasse ist: Dieser Hügel ist überraschend tückisch und schwierig zu fahren“, erklärt er. „Mein Vater fuhr ihn hinab, als er etwa 16 Jahre alt war, und verunglückte schwer. Deshalb sorgt er sich immer, dass wir hier nicht gut genug aufpassen könnten. Ich bin die Strecke auch schon schnell gefahren, aber niemals aggressiv. Während des Festivals muss ich noch besser aufpassen, denn es gibt kaum etwas Peinlicheres, als vor den Augen tausender Menschen einen Unfall auf seiner eigenen Auffahrt zu bauen.“
Ein Familienfoto verrät, dass der junge Charles March noch ein Kind war, als er das erste Mal am Steuer sass: auf dem Schoss seines Vaters hinter dem Lenkrad eines frühen Alfa Romeo Grand-Prix-Wagens. Fahren lernte er, als er etwa 13 Jahre alt war, auf den Rallye-Pisten auf dem Gelände des Goodwood House, die seit Jahren ein besonders beliebter Teil der in jedem Sommer ausgetragenen Veranstaltung sind. Und die Kontrolle über ein Fahrzeug zu behalten, übte er auf einem Ableger der hauseigenen Rennstrecke.
„Wir hatten einen alten Vorauswagen vom Motor Circuit, einen BMW M3 aus den 1990er-Jahren, der schon auseinanderfiel und ausrangiert werden sollte“, erinnert sich March. „Also nahmen wir ihn, und ich bin oft damit durch die Felder geschlittert. Bis ich einmal kurz anhalten musste und vergass, die Handbremse zu betätigen. Das Auto ist den kompletten Hügel hinuntergerollt, durchschlug ein paar Zäune, und das war es dann mit dem Wagen. Mein Vater hat mich auf frischer Tat ertappt, wie ich versuchte, den Zaun schnell wiederherzurichten.“
Heute setzt March seine Rennbestrebungen auf einem höheren Niveau fort und tritt mit einem Porsche 718 Cayman GT4 Clubsport an. Er gehört zum festen Rennkader der 2021 Porsche Visit Cayman Islands Sprint Challenge GB, die im Rahmen der Porsche Motorsport Pyramide als Aufsteiger-Serie für den Carrera Cup fungiert. „Meine Rennkarriere begann im Historic Racing Drivers Club in einem Austin A35, wo ich für meine „National A“ Lizenz antrat, mit der ich dann beim Goodwood Revival an den Start gehen konnte. Das war das einzige Rennen, an dem ich je teilgenommen hatte, bis ich im September des vergangenen Jahres beschloss, in einem Porsche Rennen zu fahren.“
Der 718 Cayman GT4 Clubsport als Rennfahrzeug
Der Cayman sein das richtige Rennfahrzeug hierfür, „und trotzdem einsteigerfreundlich – sowohl finanziell als auch, was die fahrerischen Herausforderungen angeht“, sagt March. „Es gibt 16 Rennen pro Saison, und es wird sehr wettbewerbsorientiert gefahren, da kann ich also viel lernen. Und das Auto selbst ist zwar sehr schnell, bietet dem Fahrer aber auch viele Assistenzsysteme, sodass Fehler eher verziehen werden als im Carrera Cup. Daher schien mir dies ein guter Ausgangspunkt zu sein, der mir auch die Möglichkeit gibt, später in andere Porsche-Serien zu wechseln.“
March hofft, auch in Zukunft weiter Rennen zu fahren, und bereitet sich gleichzeitig darauf vor, seinen Vater als Oberhaupt von Goodwood abzulösen. „Das ist eine grosse Verantwortung“, räumt er ein. „Mit Blick auf meine Familie möchte ich wirklich vermeiden, derjenige zu sein, der nach so langer Zeit alles in den Sand setzt.“ Aber mittlerweile gehe es nicht mehr nur um die Familie. „Es geht auch um alle unsere Mitarbeiter, die Mitglieder und alle, die jedes Jahr Tickets kaufen. Wir spielen eine wichtige Rolle in ihrem Leben, worauf wir auch sehr stolz sind, aber es setzt einen gleichzeitig unter Druck. Für manche ist dies der wichtigste Ort der Welt, und es kann beängstigend sein, wenn man dafür Sorge tragen muss, dass das auch so bleibt. Aber es ist auch aufregend.“
Auf dem Hügel von Goodwood geht es bereits hoch her: Für das Festival of Speed 2021 werden Rundfunk-Anlagen aufgebaut, Fussgängerbrücken errichtet und Heuballen zu Sicherheitszwecken ausgelegt. Stand Veröffentlichung dieses Artikels wird die Veranstaltung dank einer Sondergenehmigung der britischen Regierung vom 8. bis 11. Juli stattfinden. Das zentrale Thema lautet "The Maestros - Motorsport's Great All-Rounders". Tickets sind ab sofort im Verkauf. Die Veranstaltung wird auch per Live-Stream zu sehen sein.
Weitere Details zur Porsche Visit Cayman Islands Sprint Challenge GB sind auf dieser Website zu finden.
„Auf Ausfahrt“
In Zeiten von Lockdown und Reisebeschränkungen möchte der Porsche Newsroom mit der Content-Reihe „Auf Ausfahrt“ den Abenteuerdurst der Leserinnen und Leser stillen. Entdecken Sie die schönsten Strassen der Welt mit den Augen von Porsche-Aficionados rund um den Globus.