Nur das Rauschen der Blätter ist zu hören, wenn Sigurd Wongraven in seiner Trekking-Hängematte liegt, die er zwischen zwei Bäume spannt. Manchmal braucht er die Stille. Die ausgedehnten Wälder rund um Oslo sind sein Rückzugsort. „Ich übernachte hier und lasse den Sound der Dunkelheit auf mich wirken. Der Mond, die Gerüche und das Funkeln der Sterne inspirieren mich. So entstehen viele meiner Texte“, erzählt der 46-Jährige, international bekannt geworden als Frontmann der norwegischen Black-Metal-Band Satyricon. Selbst im Winter unternimmt Wongraven abendliche Touren auf Langlaufskiern mit Stirnlampe. Gerne abseits der gespurten Loipen, wo Erfahrung im Tiefschnee zählt.
Er kennt die Tücken der Natur – und begegnet ihnen mit Respekt. Selbstbewusste Ruhe prägt seine Persönlichkeit. Er gewinnt sie in der Intensität, mit der er sich einfach allem widmet, was er tut. Grenzüberschreitungen und Tempowechsel sind seine Spezialität. Ein Leben wie eine Komposition aus ganz lauten und sehr leisen Tönen. Wer ihn im schwarzen Rocker-Outfit mit morbid-weissem Make-up zu hartem Beat auf der Bühne erlebt, kann sich ihn kaum als Hängemattenträumer vorstellen. Soundgewalt und sanfte Klänge setzen sich in seiner Garage fort: Zwei Porsche 911 GT3 (991 und 992) teilen sie sich mit einem Porsche Taycan 4S.
Gründungsmitglied der Band Satyricon
Wongraven führt ein Leben auf der Überholspur, seit er mit 17 ohne Abschluss die Schule verliess. Die Musik war ihm wichtiger, er hatte einen Plattenvertrag mit Satyricon erhalten. Er wollte Kategorien sprengen, Neues erschaffen. Und wurzelte im damals jungen Genre des Black Metal – einer düsteren Underground-Richtung mit vorwiegend skandinavischer Geschichte. Wongraven lernte Schlagzeug und wechselte später zur Gitarre. Beeinflusst von den Urvätern des Heavy Rock faszinierte ihn das Spiel von Black-Sabbath-Gitarrist Tony Iommi. Dessen furiose Riffs in Moll finden sich in Wongravens speziellem Sound wieder, der Norwegen auf die weltweite Metal-Landkarte brachte. Als Gründungsmitglied von Satyricon gehört Wongraven zur ersten Generation der Black-Metal-Bewegung.
Ein Sänger und Songschreiber, der im Song King grollt und faucht wie ein Raubtier. Diesen Stil hat er selbst entwickelt und experimentiert seit damals immer weiter mit ihm. Allerdings ohne je seine Wertschätzung für alten Blues zu verlieren. Wongraven kann stundenlang von Musik erzählen und über Auftritte von Sydney bis St. Petersburg. „Das Revier der Band sind Clubs und mittelgrosse Hallen“, erklärt er die Tourneeplanung, „in Stadien geht der Kontakt zu unseren speziellen Fans verloren.“
Vielschichtiger Klangteppich für Werke von Edvard Munch
Zwischen den Satyricon-Alben Volcano und Now, Diabolical folgte Wongraven einer weiteren grossen Leidenschaft: Mit Ende zwanzig kaufte er sich seinen ersten Porsche 911, einen schwarzen Carrera 4 (993). Der letzte mit Luftkühlung, wie er stolz betont. „Der 911 war für mich schon immer wie eine Les Paul, um in der Kategorie der stilprägenden Gitarren zu reden. In Form und Sound ein absoluter Klassiker.“ Mit dem Gebrauchten rockte er durch den Alltag, transportierte selbst seine Snowboards zu den Pisten rund um den Holmenkollen.
Er forderte den Porsche heraus, erforschte ihn in der ihm eigenen Gründlichkeit und blieb der Marke treu. Entdecken und leidenschaftlich vertiefen bis zur absoluten Expertise – so startete der Künstler auch seine zweite Karriere als Weinproduzent. Das war nach dem Erfolg des Albums The Age of Nero, erschienen 2008. „Nach fast 15 Jahren mit der Band brauchte ich einen frischen Impuls.“ Längst sind Cuvées unter seinem Namen ein etabliertes Label.
Aktuell entsteht in einer Bauernkate aus dunkelbraunen Holzstämmen, umgebaut zum Hightech-Tonstudio mit herrlich nordischem Ambiente, wiederum ein völlig neues Kapitel in seinem bewegten Leben: eine Klanginstallation für eine Sonderausstellung im spektakulären Edvard-Munch-Museum, das wie ein Felsen in die Osloer Hafenkante hineinragt. Zusammen mit Toningenieur Erik Ljunggren, der auch schon mit den Kollegen von a-ha hinter dem Mischpult sass, rollt Wongraven einen vielschichtigen Klangteppich aus. Dieser hüllt eine spezielle Auswahl aus Munchs umfangreichem Werk in eine Soundwolke.
Satyricon & Munch heisst der Dialog. Am 30. April 2022 ist Eröffnung. „Die Auseinandersetzung mit diesem Meister ist die grösste Herausforderung meiner bisherigen Karriere“, gibt der Musiker zu. „Munchs schroffer Realismus war anfangs begleitet von Skandalen. Ein Bürgerschreck, der sich durchsetzen musste. Das passt zu mir!“ Schweigend betrachtet Wongraven die schwarz-weisse Lithografie Der Todeskuss – sie ist einer seiner Munch-Favoriten.
Sigurd Wongraven und der GT3 auf der Rennstrecke
Nach der Stille ist es wieder an der Zeit für die laute Seite, diesmal bildet das Rudskogen Motorsenter die Bühne – eine 3,25 Kilometer lange Rennstrecke, entworfen vom deutschen Architekten Hermann Tilke, dem Designer nahezu aller modernen Formel-1-Rennstrecken. Hier trifft sich die Osloer Porsche-Rennsport-Community.
Der Metal-Mann nennt seinen Streckenrekord mit Betonung auf der letzten Kommastelle – 1:32,7 Minuten. „Erst fährt man um Sekunden, irgendwann um Zehntel“, erläutert er. Der indischrote GT3 (991) mit seinen Initialen auf dem Nummernschild ist eine weitere Herausforderung, der er sich akribisch widmet.
Als Mitglied des Rudskogen-Fahrerclubs habe er ein ganzes Jahr gebraucht, um die Strecke zu verinnerlichen und den Sportwagen auf jedem Meter und bei allen Manövern zu beherrschen. Wongravens hoher Selbstanspruch ist auch in dieser Welt das Fundament seiner coolen Souveränität, mit der er jetzt den Parcours analysiert. Der Name der lang abfallenden Gerade klingt wie der Titel eines Metal-Albums: ANGSTEN. Und die anschliessende Kehre ist ein Richtungswechsel ganz nach dem Geschmack des erfahrungshungrigen Piloten.
Brücke zwischen Epochen
„Go with the flow“ lautet eine Prämisse aus dem Hip-Hop, die Wongraven als Fan der New Yorker Erfolgsband Beastie Boys beherzigt. Seit Herbst 2020 fährt der Vater von zwei Söhnen seinen Taycan 4S durch Norwegen, das Land mit der weltweit höchsten Dichte an Elektrofahrzeugen. Er schwärmt von Beschleunigung und Drehmoment und vergleicht den Umstieg vom GT3 in den E-Sportler ausführlich mit einem Gitarrenwechsel. Dass sein Taycan an jeder Osloer Ampel für Aufsehen sorgt, liegt nicht nur an der Exklusivität der Marke: Der Individualist hat den Wagen im legendären Salzburg-Design folieren lassen.
Eine rollende Reminiszenz an den Porsche 917, mit dem Hans Herrmann und Richard Attwood 1970 den ersten Porsche-Gesamtsieg beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans holten. „Die Inspiration kam von Porsche Cars North America“, erzählt er. „In Florida wurde der Taycan bei der Einführung in vier berühmten Rennsport-Looks präsentiert.“
Reine Nostalgie ist für den Avantgardisten aber keine relevante Grösse. Vielmehr symbolisiere die Gestaltung mit der emblematischen Startnummer 23 einen Brückenschlag zwischen zwei Autoepochen. „Ich lerne das elektrische Fahren mehr und mehr schätzen. Die Entwicklung ist gut und auch nicht mehr umkehrbar. Gleichzeitig geniesse ich jeden Ritt im GT3. Und vor allem“, schliesst Sigurd Wongraven, „bin ich gespannt, welche Herausforderungen die nächsten sein werden!“
Info
Text erstmalig erschienen im Porsche-Kundenmagazin Christophorus, Nr. 401.
Autor: Ralf Niemczyk
Fotografen: Theodor Barth, Classic Rock Magazine (Getty Images)
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