Fast geräuschlos fährt der Sportwagenprototyp elektrisch aus der Box. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig – dann erwacht der Verbrenner mit voluminösem V8-Sound. Geniesserisch verfolgt Thomas Laudenbach das Crescendo mit über 8.000 Umdrehungen pro Minute. „Dieser Motor ist für mich wie ein guter Freund aus alten Zeiten“, sagt der Leiter von Porsche Motorsport. Im Oktober 2021 übernahm Laudenbach, 54, das Amt von Fritz Enzinger. Unter dessen Ägide gelangen unter anderem drei Langstreckenweltmeistertitel mit dem Porsche 919 Hybrid und die Le-Mans-Gesamtsiege Nummer 17, 18 und 19 der Unternehmensgeschichte. „Mit dem neuen LMDh 963 nehmen wir jetzt in Frankreich den 20. Gesamtsieg ins Visier“, formuliert Laudenbach ein hohes Ziel. „Darüber hinaus wollen wir Titel gewinnen – in der nordamerikanischen IMSA-Serie und in der Langstrecken-WM.“

Porsche 963, 2022, Porsche AG
Leuchtenband: Verfolger erkennen, wen sie vor sich haben. Das Leuchtenband ist im Heck integriert, darunter erstrahlen die Buchstaben des Markennamens.

Mit dem LMDh-Programm kehrt Porsche zurück in die Liga dieser Championate, um wieder um Gesamtsiege zu kämpfen. Das 24-Stunden-Rennen von Daytona im Januar 2023 wird der erste Einsatz des spektakulären Rennwagens mit einer Systemleistung von rund 500 kW (680 PS). Der Wettbewerb ist gross: Auch Acura, BMW und Cadillac haben LMDh-Rennwagen für die neue Prototypenklasse der IMSA WeatherTech SportsCar Championship entwickelt. Das Kürzel LMDh steht für Le Mans Daytona hybrid. In der Langstrecken-WM, der FIA World Endurance Championship (WEC), umfasst die Konkurrenz obendrein noch die Gruppe der LMH-Rennwagen – das sind Le-Mans-Hypercars, unter anderem eingesetzt von Ferrari, Glickenhaus, Peugeot und Toyota.

Porsche 963, 2022, Porsche AG
Licht: Die Scheinwerfer liegen tief und sind schmal. Ungewöhnlich für die Ausleuchtung einer nächtlichen Rennstrecke, wenn bei Geschwindigkeiten von bis zu 340 km/h jede Millisekunde zählt. Aber die Augen geben einen Designausblick auf die Serie. Die Motorsportexperten verliehen dem Entwurf von Style Porsche mit der Installation und Ausrichtung von 64 LED-Lampen Renntauglichkeit.

Dass es Porsche überhaupt möglich ist, mit demselben Rennwagen in der IMSA und in der WEC anzutreten, geht auf eine historische Einigung zurück. Am 24. Januar 2020 verkündeten drei Verbände ein neues Regelwerk: der Le-Mans-Veranstalter Automobile Club de l’Ouest (ACO), die Fédération Internationale d’Automobile (FIA) und die US-amerikanische International Motor Sports Association (IMSA). Das gemeinsame Ziel: eine hohe Leistungsdichte mit möglichst vielen Prototypen dank eines ausgeklügelten Reglements, das Kostenexplosionen unterbindet. Wie schafft man das?

Balance of Performance

Zum einen durch die erstmalige Einführung eines dynamischen Regulativs in der Topkategorie dieses Sports. So eine Balance of Performance, mit der die Organisatoren technisch eingreifen können, wenn sich die dauerhafte Überlegenheit eines Fahrzeugs abzeichnet, gab es bislang nur in seriennäheren GT-Klassen. „Diese BoP bedeutet, dass sich exotische Investitionen in pure Leistungssteigerung nicht mehr uneingeschränkt lohnen“, erläutert Laudenbach. „Mit vielen Windkanalstunden oder aufwändiger Elektronik erkaufte Performance würde durch zusätzliches Gewicht oder andere Einschränkungen wieder aufgehoben.“

Porsche 963, 2022, Porsche AG

Der zweite wichtige Faktor zur Kostenreduzierung sind Einheitskomponenten, die sich der Entwicklungsspirale von vornherein entziehen. So sind das Hybridsystem samt elektronischer Steuereinheit von Bosch sowie die Batterie von Williams Advanced Engineering für alle LMDh-Fahrzeuge gleich, ebenso das siebengängige Renngetriebe von Xtrac. Michelin liefert einheitliche Reifen. Für Monocoque und Fahrwerk haben die Verbände vier Chassishersteller zugelassen – Dallara, Ligier, Oreca und Multimatic. Porsche ist nicht nur der erste, sondern bislang auch exklusiver Partner von Multimatic und war auch der erste Hersteller, der das Hybridsystem und die Reifen testete. „In dieser Führungsrolle räumen wir zwar auch Wettbewerbern Steine aus dem Weg“, weiss Laudenbach, „profitieren aber gleichzeitig von einer steilen Lernkurve in der Kooperation mit den internationalen Partnern. Und in der Herzensangelegenheit“, ergänzt der Maschinenbauingenieur mit Blick auf den Motor, „sind wir natürlich autark.“ 

V8-Biturbo

Das LMDh-Reglement stellt Hubraum, Bauform und Zylinderzahl des Verbrennungsmotors frei. Als Basistriebwerk für die Rückkehr in die Spitzenklasse wählte Laudenbach zusammen mit seinen Ingenieuren einen alten Bekannten. In seiner ersten Porsche-Zeit, 1998 bis 2013, war er für den Antrieb im LMP2-Rennwagen RS Spyder zuständig, der als Basis für die Verwendung im 918 Spyder diente. „Dessen V8-Zylinder trägt bereits Motorsportgene in sich“, attestiert er, „vor allem die tiefe Position der Kurbelwelle bietet beste Voraussetzungen für eine optimale Schwerpunktlage im Rennwagen.“ Begeistert zählt er weiter auf: „Die Trockensumpfschmierung war schon im 918 für hohe Querbeschleunigungen ausgelegt. Berücksichtigt man die Freiheitsgrade im Reglement, beispielsweise hinsichtlich Mindestgewicht und Leistungsspektrum, bietet dieser 4,6-Liter-Motor eine hervorragende Basis für einen LMDh-Antrieb.“ 

Jetzt ist es natürlich nicht so, dass in Weissach ein zehn Jahre alter Motor aus dem Regal gezogen und in einen Weltklasserennwagen eingebaut wird. „Neben einigem Feinschliff gibt es drei grundsätzliche Änderungen“, präzisiert Laudenbach. „Erstens erfüllt der V8 im 963 auch eine Funktion als tragendes Strukturteil im Gesamtfahrzeug, zweitens haben wir ihn für den Betrieb mit erneuerbaren Kraftstoffen ausgelegt und drittens erhielt der einstige Saugmotor zwei leistungsstarke Turbolader. Denn beim Ladedruck variieren zu können, gibt uns Flexibilität, wenn wir auf BoP-Anpassungen reagieren müssen.“

Porsche 963, 2022, Porsche AG
Linie: Bei den neuen LMDh-Rennwagen muss sich die Aerodynamik per Reglement innerhalb fest definierter Grenzen bewegen. Porsche hat die engen Vorgaben beim 963 in eine Designchance übersetzt und gemeinsam mit Style Porsche ausgestaltet. Grant Larson integrierte die typische Flyline ebenso wie zukunftsweisende Details für Seriensportwagen.

Hohen Investitionen in Leistungssteigerung hat das LMDh-Motorenreglement einen Riegel vorgeschoben. Die maximale Systemleistung aus Hybridsystem und Verbrenner – mehr als 515 kW (700 PS) – gilt für alle LMDh-Wettbewerber. Und die Entfaltung der Leistung muss sich über das gesamte Drehzahlband auf einer vorgeschriebenen Kurve bewegen. Gemessen wird die Kraft an der Hinterachse, Allradantrieb ist untersagt. „Damit ist allen Motoren dieselbe Charakteristik vorgegeben“, fasst Laudenbach zusammen, „ähnlich wie bei der Aerodynamik, wo wir uns mit Luftwiderstand und Abtrieb stets in einem vorgeschriebenen Fenster bewegen müssen.“

Worauf es ankommt

Die Entwicklung im Rahmen der rigiden Vorgaben gestaltete sich extrem anspruchsvoll. Deren Erfüllung ist das eine. Zuverlässigkeit ist das andere – und Grundvoraussetzung für Erfolg. Um im Wettbewerb besser zu sein als andere, fokussierte sich Porsche Penske Motorsport auf weitere dezidierte Entwicklungsattribute. „Beim Gesamtfahrzeug standen, unter anderem, eine perfekte Balance und generell die Fahrbarkeit unter allen Bedingungen weit oben im Lastenheft – ob mit vollem oder leerem Tank, ob mit frischen oder gebrauchten Reifen“, beschreibt Laudenbach. „Wir brauchen kein ‚spitzes‘ Auto, es muss konstant schnell sein. Denn damit gewinnt man in Serien mit BoP Rennen und Meisterschaften. Ausserdem waren uns die leichte Bedienbarkeit für die Fahrer, zumal bei wechselnder Witterung, und eine hohe Servicefreundlichkeit für die Boxencrew von Porsche Penske Motorsport wichtig.“

Das alles wird wettbewerbsentscheidend sein, wenn Porsche in wenigen Wochen wieder um Gesamtsiege kämpft. Einen Pokal für Ästhetik hätte der Porsche 963 jetzt schon verdient. 

Info

Text erstmals erschienen im Christophorus Magazin, Ausgabe 405.

Autorin: Heike Hientzsch

Fotos: Rafael Krötz

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