Herr Blume, Herr Meschke, Sie sind beide grosse Fussballfans. Welches Ereignis war für Sie bisher das grösste und aufregendste?
Oliver Blume: Ganz klar der Gewinn der Weltmeisterschaft 2014. Wie sich die deutsche Mannschaft in der K.o.-Runde gegen Frankreich, Brasilien und dann im Finale gegen Argentinien behauptete, war Begeisterung pur. Eine fantastische Teamleistung. Jeder Spieler glaubte an den WM-Sieg und gab dafür auf dem Platz alles.
Lutz Meschke: Da hast du vollkommen recht. Das war auch für mich ein hochemotionales Erlebnis. Zumal ich zuvor zwei Spiele in Brasilien gesehen habe: Das Vorrundenspiel der Deutschen gegen Ghana und die Partie Kroatien gegen Mexiko. Es ist wirklich etwas Besonderes, wenn man im Stadion sitzt und das völkerverbindende Element des Fussballs miterlebt. Mein traurigstes Erlebnis war für mich das Finale im Europapokal der Landesmeister 1977. Das hat Borussia Mönchengladbach leider sehr unglücklich mit 1:3 gegen den FC Liverpool verloren. Ich war damals elf Jahre alt und glühender Fan der Borussia, die in dem Jahr schon zum fünften Mal in den 1970ern Deutscher Meister wurde. Eine Wahnsinnstruppe. Ihr Offensivgeist war legendär. An guten Tagen konnte sie einen Gegner förmlich überrennen.
Eine Prise von diesem Torhunger hätte der deutschen Elf in Katar geholfen.
Meschke: Ja. Und da auf diesem Niveau Sieg und Niederlage sehr eng beieinander liegen, muss sich die Nationalelf auch Kritik gefallen lassen. Bei so einem Turnier sollte man sich komplett auf den sportlichen Erfolg fokussieren und nicht ablenken lassen. So, wie das die Kroaten und die Marokkaner gemacht haben. Die haben mit viel weniger Mitteln viel mehr rausgeholt, weil sie als Mannschaft zusammenstanden und mehr deutsche Tugenden zeigten als die Deutschen.
Blume: Immerhin ging unsere Mannschaft nach dem Sieg gegen Costa Rica mit erhobenem Haupt vom Platz. Wichtig ist zudem, dass sie im Spiel davor gegen Spanien eine klare Reaktion auf das Auftaktspiel zeigte und versuchte, das Heft in die Hand zu nehmen. Denn darauf kommt es an: Du musst als Team selbstbewusst agieren und deinen Stärken vertrauen. Als erfahrener Spieler musst du vorangehen und jüngere mitnehmen. Das ist meine Überzeugung. Das gilt im Fussball genauso wie in einem Unternehmen.
Bei einer Weltmeisterschaft kann man vorher nicht wissen, ob man gewinnt. Trotz bestmöglicher, intensiver Vorbereitung. Im Leben eines Topmanagers ist ein Börsengang so etwas wie eine WM – mit einem Unterschied: Hier mussten Sie gewinnen. Wie plant man solch ein Highlight, das erfolgreich werden muss?
Blume: Für den Erfolg massgeblich ist eine profunde interne Vorbereitung. Dann muss man die richtigen externen Partner an Bord holen. Equity Story, Capital Markets Day, Investorengespräche müssen zu 100 Prozent überzeugen. Entscheidend dafür ist die perfekte Börsenstory. Diese Geschichte muss schlüssig und stimmig sein – sprich: Sie ist langfristig angelegt. Mit einem zeitlichen Startpunkt weit vor dem Börsengang selbst und mit einer tollen Langfristperspektive.
Meschke: In unserem Fall mussten sowohl das Management des Volkswagen Konzerns als Verkäufer als auch die unterschiedlichen Anteilseigner des VW-Konzerns – also die Eigentümerfamilien, die Qatar Investment Authority, das Land Niedersachsen und die Arbeitnehmer-Vertreter – übereinstimmend die Win-win-win-Situation sehen: eine nachhaltige wertschaffende Entwicklung von Porsche mit attraktiven Dividenden. Und ja, wir haben es geschafft, dass alle fest davon überzeugt waren.
Porsche ist ein Unternehmen, das immer gewinnen will. Wie wichtig ist es, mit Druck umgehen zu können?
Blume: Durch den Börsengang rückten wir im Vorstand als Team noch enger zusammen. Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können. Das gilt genauso für unsere gesamte erstklassige Porsche-Mannschaft. Nur dadurch konnten wir unser heutiges Performance-Niveau erreichen. Durch diese Mannschaftsleistung ist Porsche ein derart starkes Unternehmen: agil und hochprofitabel, nachhaltig und mit einer Produktvielfalt, die aus unserer Sicht einzigartig im Bereich der Luxusautomobile ist.
Meschke: Wichtig ist eine perfekte Organisation mit den richtigen Prioritäten. Jede Führungskraft muss delegieren können, verbunden mit einem guten Gefühl für konstruktives Miteinander, aufbauend auf gegenseitigem Respekt. Am Ende ist es die Qualität der Mannschaft, die dich gut schlafen lässt. Als Vorstand ist es deine Aufgabe, die Mannschaft zusammenzustellen und zu formen.
Fussball und das Management eines Unternehmens haben manches gemeinsam. Lassen sich Lehren aus dem Sport in die Wirtschaft übertragen?
Blume: Ja, sehr viele sogar. Denn Erfolg ist Teamwork. Wenn alle zusammenhalten und für ein Ziel kämpfen, kann man Berge versetzen. Wie im Fussball müssen wir die richtigen Menschen an der richtigen Stelle einsetzen. Wie ein Trainer muss ein Manager der Mannschaft Spielsystem, Taktik und den richtigen Teamgeist vermitteln. Für unsere Führungspositionen bedeutet das: Wir brauchen Leader, die Verantwortung vorleben, die Vertrauen schaffen. Und als Vorstandsteam brauchen wir eine Vision, die wir authentisch vermitteln: den Titel zu holen – wofür alle dann die Extrameile gehen.
Meschke: Klare Führung, starkes Teamwork und echter Kampfgeist waren in den Wochen und Monaten vor dem Börsengang am 29. September wichtiger denn je. Die Anspannung war gross, phasenweise ist die Mannschaft über sich hinausgewachsen. Oliver Blume und ich haben jedes mögliche Investorengespräch geführt. Wir haben auf dem Weg zum IPO bis zur allerletzten Minute gekämpft. Der Start am Frankfurter Aktienmarkt markierte dann einen historischen Tag: Die Porsche AG ist zurück an der Börse. Gemessen an der Marktkapitalisierung war es der grösste Börsengang in Europa überhaupt. Wir haben uns einen unserer grössten Träume erfüllt. Und mit der neuen Autonomie, die wir durch den Börsengang gewonnen haben, sind wir besser aufgestellt denn je. Dieser Erfolg schweisst zusammen. Der Vorstand steht Schulter an Schulter. Und wir wissen, die Mannschaft steht zu uns.
Titel streben viele an, nur wenige erreichen sie. Inwieweit sind Titel und Management-Erfolge planbar?
Blume: Meine klare Antwort: Erfolg ist planbar. Der Fussballtrainer Ralf Rangnick hat mit dieser Überzeugung und einem guten Plan zwei Mannschaften aus der Regionalliga in die Bundesliga geführt – Hoffenheim und Leipzig; letztere sogar in die Champions League. Der besondere Charme dabei: Er hat die Erfolge zuvor angekündigt. Genauso sage ich: Es gibt keine Zufälle in der Automobilindustrie. Den nachhaltigen Erfolg von Porsche haben wir geplant. Wir sind Strategen und Umsetzer. Entscheidend ist dabei, immer in Chancen zu denken.
Wir begreifen Wandel als Chance. Wir treiben ihn proaktiv und systematisch voran. Auf Basis einer klaren Strategie mit ambitionierten Zielen. Und wie im Sport wollen wir auf Erfolge aufbauen, aus Niederlagen lernen. Ganz wichtig sind dabei Fokus und Geschwindigkeit. Und man muss den Mut haben, entschlossen das Richtige zu tun. Bei uns war das zum Beispiel der Moment, in dem wir die Taycan-Entwicklung entschieden und sagten: Wir gehen jetzt voran mit dem ersten rein elektrischen Sportwagen von Porsche. Wir haben die Elektromobilität 2015 früher als andere eingeleitet. Das unverändert hohe Auftragsniveau beim Taycan gibt uns recht.
Meschke: Du musst einfach wissen, an welchem Punkt es wirklich zur Sache geht – oder, um im Fussballbild zu bleiben: Den entscheidenden Elfmeter musst du reinmachen. Der Taycan war wegweisend. Gleiches gilt für den Beteiligungsaufbau und die Zusammenarbeit mit Rimac und die Bildung des Joint-Ventures Bugatti Rimac, an dem wir 45 Prozent der Anteile halten. Mit unserer Mehrheitsbeteiligung an der Cellforce Group wiederum werden wir zum Hersteller von Hochleistungsbatterien. Wir setzen entschlossen auf die Elektrifizierung und stellen uns breit und technologisch führend auf. Ergänzend dazu sehen wir in eFuels eine effektive Lösung: Ottomotoren können damit potenziell nahezu CO₂-neutral betrieben werden. In Haru Oni im Süden Chiles haben wir vor Kurzem gemeinsam mit Partnern eine Pilotanlage eröffnet. Derart neue Wege zu gehen, erfordert Mut und ist nicht frei von Risiken. Aber nur wer mit Mut vorangeht, wird am Ende die Nase vorne haben.
Der Taycan und der Einstieg in die E-Mobilität waren ein „Titelgewinn“. Der Börsengang ebenfalls. Indes, die Champions League zu gewinnen ist das eine, den Titel nochmals und nochmals zu verteidigen das andere. Ist Porsche – im übertragenen Sinn – Real Madrid, der einzige Verein, dem dies gelingt?
Blume: Entscheidend sind zwei Punkte: Erstens, dass wir immer in der Lage sind, unser Spielsystem zu verändern. Ich verwende hier gerne diesen Satz: Nur weil Porsche sich immer verändert hat, ist Porsche stets Porsche geblieben. Und zweitens müssen wir darauf achten, dass die Spieler unserer Mannschaft trotz der gewonnenen Titel immer noch hungrig sind. Was zählt, sind Pioniergeist, Herzblut und Innovationskraft. Und ja, genau deswegen hat Porsche das Potenzial, Real zu sein.
Meschke: Unser Ziel ist es, dem Markt immer einen Schritt voraus zu sein. Zum Beispiel jetzt nach dem Börsengang erlaubt die gewonnene Eigenständigkeit erneut eine neue Taktik. Wir verstärken uns ganz gezielt in den Schlüsselbereichen Software und Batterietechnologie. Unsere Ambition ist es, im Jahr 2030 mehr als 80 Prozent unserer neuen Sportwagen vollelektrifiziert zu verkaufen. Porsche-typisch – sprich: extrem sportlich, mit überragender Performance und Top-Ladeeigenschaften. Unsere rein elektrischen Sportwagen werden abbilden, was technologisch in die Zukunft weist.
Es heisst aber auch: „Never change a winning team“ – die Eingriffe in siegreiche Mannschaften sollten behutsam erfolgen, um den Erfolg zu verstetigen.
Blume: Die gewonnene Eigenständigkeit nach dem Börsengang bedeutet für Porsche keine Abkehr vom VolkswagenKonzern: Mit einer vertraglich festgelegten unternehmerischen Trennung bleiben Synergien im Konzern erhalten. Wir nutzen weiterhin Einkaufsvolumina, Komponenten, Technologien und Fabriken. Das bedeutet: Obwohl wir im Luxussegment klar positioniert sind, profitieren wir von Skaleneffekten. Mit dieser hervorragenden Aufstellung ist – um im Fussballbild zu bleiben – unsere Abwehr stabil. Und mit attraktiven, luxuriösen Produkten, die Träume unserer Kunden erfüllen, erzielen wir die Tore.
Meschke (LACHT): Und um das Fussballbild zu vervollkommnen: Das perfekt eingespielte Vorstandsteam treibt die Bälle nach vorn. Was uns grossen Spass macht, ist die Entwicklung junger Talente. In den vergangenen Jahren haben wir rund die Hälfte unserer Führungskräfte der ersten Ebene auf andere Positionen entwickelt und teils Porsche-Nachwuchsleute nachgezogen, teils aber auch gezielt Verstärkungen von aussen geholt. Perspektivisch wird zum Beispiel Sajjad Khan von aussen in den Vorstand kommen und die Car-IT übernehmen. Es geht dabei immer um die richtige Mannschaftsaufstellung. Aber klar ist: Unser Führungsteam ist im Wesentlichen seit Jahren zusammen und bildet mit vielen Leistungsträgern auf der Ebene darunter die erfolgreiche Stamm-Mannschaft.
Info
Interview erstmals erschienen im Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht 2022.