Den Blick konzentriert nach vorne gerichtet steht Sebastian Steudtner auf seinem Surfboard. Wind pfeift ihm ins Gesicht. Mit dem rechten Bein korrigiert er den Stand, der linke Arm geht nach vorne, fast so, als wolle er eine nahende Welle abhalten. „Dankeschön, wir haben jetzt alles“, ertönt plötzlich eine Stimme. Der Windstrom lässt nach, Steudtner richtet sich auf, und Licht erhellt die Szene. Der Big-Wave-Surf-Weltmeister hat keine Wellen im Atlantik geritten, sondern steht im Windkanal von Porsche in Weissach auf seinem Board. Hier arbeitet ein Team um Marcus Schmelz, Marcel Straub und Dr. Jin Gong von Porsche Engineering an einem ehrgeizigen Projekt: Sie wollen Steudtners Sportgerät sowie seine Haltung auf dem Brett optimieren. Damit sollen seine Leistungen weiter verbessert werden.
Seit Ende letzten Jahres arbeiten Porsche Engineering und Steudtner im Rahmen einer langfristigen Partnerschaft zwischen dem Big-Wave-Weltmeister und Porsche zusammen, um dieses Ziel zu erreichen. Mithilfe neuester Simulationsmethoden und Windkanal-Validierungen sollen beispielsweise das Verhalten des Surfboards im Wasser sowie die Aerodynamik von Board und Surfer verbessert werden. „Wir bringen unsere Erfahrungen in der Strömungs- und Strukturoptimierung mit der Expertise eines weltweit bekannten Surfers zusammen, um ein optimiertes Board für das Surfen besonders hoher Wellen zu entwickeln“, sagt Projektleiter Schmelz.
Ein wesentliches Ziel ist es, im Wasser schneller zu werden. Aktuell erreicht Weltrekordhalter Steudtner mit seinem Surfboard Geschwindigkeiten von 70 bis 80 km/h. Das reicht aber noch nicht, um deutlich höhere Wellen reiten zu können – denn je höher eine Welle ist, desto schneller muss der Surfer sein, damit sie nicht über ihm zusammenschlägt. „Mit meinen drehbaren bisherigen Boards war das technische Limit definitiv erreicht“, sagt Steudtner.
An zwei Stellen setzt das Team von Porsche Engineering an, um den Weltmeister zu beschleunigen: bei der Hydro- und bei der Aerodynamik. Zur Verbesserung der Aerodynamik gehört die Frage, wie die Position des Surfers auf dem Board modifiziert werden kann, um eine spürbare Widerstandsreduktion zu erreichen. Im Bereich der Hydrodynamik geht es darum, den Druck- und Reibungswiderstand zu reduzieren – beispielsweise durch die Positionierung der Finnen unter Wasser und die Verwendung spezieller Beschichtungen für das Board. „Alles, was sich in der Luft befindet, untersuchen wir im Windkanal. Alles, was sich im Wasser befindet, analysieren wir mit einer CFD-Simulation“, erklärt Gong. Für die Tests im Windkanal wurde ein spezielles Gestell gebaut, um die Position des Boards auf einer Welle simulieren zu können.
Besonderheiten wie seitliche Strömungen liessen sich mithilfe eines drehbaren Bodens nachstellen. „Wir haben in zwei Versuchsreihen verschiedene Positionen des Körpers getestet und auch Optimierungen am Equipment untersucht, wie etwa den Einsatz eines Kopfspoilers. Die Potenziale und die Reproduzierbarkeit wurden bestätigt“, erklärt Gong.
17 Prozent Verbesserung
Mit Änderungen bei Steudtners Haltung konnte ein deutlich geringerer Luftwiderstand erreicht werden. Als optimal erwies sich eine Position, bei der sein rechter Arm sich an der Seite des vorderen Unterschenkels anlehnt und Oberkörper, Arme sowie Oberschenkel möglichst nahe beieinander liegen. So erreichten die Ingenieure eine Windwiderstandsreduktion von fast 17 Prozent. Auf einer Anzeige auf dem Surfboard-Gestell konnte der Weltmeister jederzeit ablesen, wie sich der Windwiderstand bei Positionswechseln veränderte. „Es war spannend zu sehen, wie viel ungenutztes Potenzial insbesondere durch die Verbesserung der Aerodynamik noch vorhanden ist“, sagt Steudtner.
Insgesamt schätzen die Ingenieure das Reduktionspotenzial beim Luftwiderstand auf bis zu 25 Prozent. „Das ist ein sehr hoher Wert. Im Fahrzeugbau sprechen wir normalerweise von drei bis vier Prozent“, so Straub. Neben den 17 Prozent durch eine optimierte Haltung liessen sich weitere vier Prozent durch Massnahmen wie einen optimierten Helm erreichen. Und auch das Surfboard bietet noch viel Verbesserungspotenzial. „Hier konnten wir durch einen Aufsatz an der Nase den Luftwiderstand um weitere vier Prozent verbessern, sowohl bei gerader Anströmung als auch bei Seitenwind“, erläutert Straub. Vergleichbar sei das mit der Wirkung eines Rad-Anlaufkörpers am Fahrzeugunterboden. „In beiden Fällen geht es um die Optimierung des Nachlaufs und die verbesserte Anströmung nachfolgender ‚Bauteile‘“, so Straub weiter. Und auch die Idee eines „Kopfspoilers“ am Board folgt Erkenntnissen aus der Fahrzeugentwickelung. „Durch die Generierung einer definierten Abrisskante am Kopf erreichen wir eine Verbesserung im Nachlaufgebiet. Das ist vergleichbar mit Abrisskanten am Fahrzeugheck, wie etwa die C-Säulen-Flaps am Taycan Cross Turismo“, so Straub.
„Als Berechnungsgrundlage für den Windkanaltest haben wir ein Kinematikmodell erstellt, also ein physikalisches Modell zur Beschreibung des aero- und hydrodynamischen Systems beim Big-Wave-Surfen“, erklärt Gong. Der Hintergrund: Tritt der Surfer in die Welle ein, kann aufgrund der Verluste durch Luft- und Wasserwiderstand nur ein Teil der vorhandenen Lageenergie in Geschwindigkeit umgesetzt werden. „Mit unserem Kinematikmodell können wir den Einfluss verschiedener Komponenten analysieren. Daraus lässt sich ableiten, dass die Optimierung des Luft- und Wasserwiderstandes eine entscheidende Rolle für das Surfen einer Riesenwelle spielt“, sagt Gong.
Board Optimierung mit CFD
Parallel zu den Tests im Windkanal wurde das Surfboard mithilfe von CFD-Simulationen (Computational Fluid Dynamics) optimiert. „Damit können wir Strömungen und Strömungsverläufe nachbilden und visualisieren“, so Gong. „Das hilft uns, kritische Stellen zu entdecken und Gegenmassnahmen zu definieren.“ Im nächsten Schritt müssten diese dann in einem realen Test auf dem Wasser überprüft werden.
Bei allen Optimierungen greift das Team auf die langjährige Expertise von Porsche Engineering aus der Fahrzeugentwicklung zurück. „Vor allem für die Verbesserung der Aerodynamik können wir Methoden aus der Automobilentwicklung übertragen – im Falle des Boards eben auf ein ganz neues‚ Fahrzeug‘“, sagt Straub. Die Modellierung sei zwar eine andere, aber die Fragen letztlich dieselben: Wo und wie kann Widerstand reduziert werden?
Steudtner ist überzeugt davon, dass er mithilfe der Porsche-Ingenieure jetzt deutlich höhere Wellen reiten kann: „Für mich war es bisher ein fortwährender Prozess mit ständigen Verbesserungen basierend auf meinem Gefühl. Jetzt auch wissenschaftliche Daten nutzen zu können, finde ich sehr interessant. Ich bin gespannt, wie gut die Theorie in der Praxis funktioniert.“ Als Ergebnis der Windkanaltests und CFD-Simulationen wurden vier modifizierte Boards gebaut, in die alle Erkenntnisse eingeflossen sind und die der Big-Wave-Surf-Weltmeister jetzt im Wasser testet „Die Fahrbarkeit des Boards entscheidet. Sebastian gibt uns regelmässig Feedback“, berichtet Straub.
Steudtner ist in diesen Tagen darum vor allem auf dem Wasser unterwegs. Seit 2012 verbringt er jeden Winter in Nazaré in Portugal, rund eine Stunde nördlich von Lissabon. Das dortige Kliff mit einem immensen Unterwassercanyon hat Hawaii längst den Rang als Surfspot mit den höchsten Wellen der Welt abgelaufen. Hier türmen sich die grössten Wellen weit über 20 Meter auf. Steudtners Weltrekord liegt aktuell bei 26,21 Metern. Mit dem richtigen Equipment will er künftig noch höher hinaus. Wie hoch das sein wird, auch das soll in Zukunft durch Unterstützung von Porsche Engineering noch genauer feststellbar sein: Die Porsche-Ingenieure entwickeln ein neues System, das die ungenaue Vermessung von Wellenhöhen anhand von Videomaterial und Standbildern ablösen soll – damit Steudtners Aufbruch in neue Dimensionen präzise dokumentiert werden kann.
Zusammengefasst
Um höhere Wellen reiten zu können, muss Sebastian Steudtner im Wasser grössere Geschwindigkeiten erreichen. Das Team von Porsche Engineering setzt dafür bei Hydro- und Aerodynamik an. Dabei nutzt es bewährte Methoden aus der Automobilentwicklung. Die modifizierten Boards werden nach der Optimierung von Steudtner in Portugal getestet.
Info
Text erstmals erschienen im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 1/2023.
Text: Claudius Lüder
Fotos: Joerg Mitter, Jorge Neal
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