Vor 40 Jahren ernten viele Autofahrer ein neues Wort kennen: cw-Wert. Als 1982 der neue Audi 100 auf den Markt kam, stellte ihn der Hersteller als „die strömungsgünstigste Serienlimousine der Welt“ vor. Als Beleg diente der für damalige Verhältnisse beeindruckende cw-Wert von 0,30. Dass der Luftwiderstand von Fahrzeugen plötzlich zum Verkaufsargument geworden war, lag an den nur wenige Jahre zurückliegenden Ölkrisen von 1973 und 1979. Die Kraftstoffpreise waren seitdem stark gestiegen, und die Effizienz von Fahrzeugen rückte immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses.
Damit wuchs auch die Bedeutung der Aerodynamik. Denn insbesondere bei höheren Geschwindigkeiten spielt der Luftwiderstand eine wichtige Rolle für den Kraftstoffverbrauch. „Ab etwa 80 km/h wird er wichtiger als der Rollwiderstand der Reifen“, erklärt Marcel Straub, Fachprojektleiter Aerodynamik und Thermomanagement bei Porsche Engineering. „Und weil er quadratisch mit der Geschwindigkeit zunimmt, ist die Aerodynamik vor allem bei Fahrten auf der Autobahn ganz entscheidend für den Kraftstoffverbrauch.“
Wie gross der Luftwiderstand eines Fahrzeugs ist, bestimmt das Produkt aus Stirnfläche und cw-Wert. Letzterer gibt an, wie stromlinienförmig eine geometrische Form ist. Dabei gilt: je kleiner, desto besser. Wassertropfen kommen dem Ideal recht nahe, weil sie vorne rund und hinten lang auslaufend sind. Ihr cw-Wert liegt bei nur 0,05. Allerdings lassen sich in tropfenförmigen Fahrzeugen Antrieb, Passagiere und Nutzlast nur schlecht unterbringen.
Seit den 1980er-Jahren hat sich die typische Keilform mit einer abgerundeten Front und einem kantigen Heck durchgesetzt. Sie dient vor allem dazu, den Sog an der Rückseite des Fahrzeugs zu minimieren. Scharfe Kanten lassen die Strömung gezielt abreissen und verringern den Unterdruck, was den Luftwiderstand reduziert. So wurden die cw-Werte immer besser: Der Opel Calibra kam 1990 auf 0,26, und der Audi A2 erreichte zehn Jahre später 0,25. „Das waren echte Sprünge bei der Aerodynamik“, erinnert sich Prof. Andreas Wagner, Inhaber des Lehrstuhls Kraftfahrwesen an der Universität Stuttgart.
Der nächste Sprung vollzieht sich derzeit, angetrieben vom Übergang zur Elektromobilität. „Elektrische Antriebe haben einen viel besseren Wirkungsgrad als ein Verbrennungsmotor, sodass die anderen Einflüsse auf den Energieverbrauch deutlich stärker ins Gewicht fallen“, erklärt Dr. Thomas Wiegand, Leiter der Aerodynamik-Entwicklung bei der Porsche AG. „Im Fahrzyklus WLTP ist die Aerodynamik bei E-Autos für 30 bis 40 Prozent der Verluste verantwortlich, im Gegensatz zu weniger als zehn Prozent bei einem Fahrzeug mit Diesel- oder Benzinmotor. Und weil die Durchschnittsgeschwindigkeit in kundennahen Zyklen noch höher ist als im WLTP, dürfte dieser Wert im realen Fahrbetrieb von E-Fahrzeugen sogar über 50 Prozent liegen.“
Entsprechend grossen Wert legen die Hersteller auf eine optimierte Aerodynamik ihrer E-Fahrzeuge. Dabei kommt ihnen die neue Antriebstechnik entgegen: Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor haben im Unterboden einen Mitteltunnel und eine Abgasanlage, die von der Umgebungsluft gekühlt werden muss. Die zerklüftete Oberfläche führt zu Luftwirbeln und erhöht den Fahrwiderstand. Bei E-Autos sitzt zwischen Vorder- und Hinterachse hingegen die Batterie. Ihre Unterseite ist völlig glatt, was zu einer günstigen Aerodynamik beiträgt.
Eingriff der aktiven Aerodynamik
Ein weiteres Plus der E-Mobilität ist die geringere Wärmeentwicklung der Motoren, sodass weniger Energie über den Kühler abgeführt werden muss. Darum ist weniger bis keine Durchströmung des Motorraums nötig, was den Luftwiderstand von E-Fahrzeugen verringert. In vielen E-Fahrzeugen sorgen einzeln ansteuerbare Kühlluftklappen in den Lufteinlässen dafür, dass nur die wirklich benötigte Luftmenge über die Kühler und die Bremsscheiben geleitet wird. Weil die Technik hier je nach Fahrsituation aktiv eingreift, sprechen Experten bei solchen Massnahmen von „aktiver Aerodynamik“.
Dazu gehören auch ein- und ausfahrbare Spoiler und luftgefederte Fahrwerke, die das Auto bei hohen Geschwindigkeiten absenken. „Um diese Massnahmen umzusetzen, bauen wir bei Porsche Engineering auf unserer Kompetenz im Bereich Funktions- und Softwareentwicklung auf“, so Straub. „Dadurch können wir die aktiven Massnahmen auf funktionaler Seite sicher zur Serienreife bringen.“ Moderne E-Fahrzeuge nutzen viele dieser technischen Möglichkeiten: Mit cw-Werten von 0,22 und 0,20 liegen der Porsche Taycan beziehungsweise der Mercedes EQS bei der Aerodynamik weit vorne.
Aktive aerodynamische Massnahmen könnten in Zukunft eine noch grössere Rolle spielen und das Aussehen der Fahrzeuge während der Fahrt deutlich verändern. Mercedes-Benz hat beispielsweise das Konzeptfahrzeug Vision EQXX mit einem cw-Wert von 0,17 vorgestellt. Zu den sichtbaren Veränderungen während der Fahrt gehört dort der Diffusor an der Heck-Unterkante: Er fährt ab 60 km/h automatisch um 20 Zentimeter nach hinten aus. Zusammen mit der scharfen Abrisskante am aussergewöhnlich langen Heck sorgt er für minimalen Luftwiderstand.
„Beim EQXX lag der Fokus auf der Energieeffizienz“, berichtet Dr. Stefan Kröber, Aerodynamikingenieur bei Mercedes-Benz und Lehrbeauftragter am Karlsruher Institut für Technologie. „Ein wichtiger Teil davon ist die optimierte Aerodynamik. Der EQXX soll auf 100 km weniger als 10 kWh verbrauchen, während der aktuelle EQS noch bei mindestens 15 kWh liegt.“ Dass Autos künftig während der Fahrt ihre Form verändern, kann sich auch Experte Straub vorstellen: „Das Heck könnte beispielsweise bei hohen Geschwindigkeiten eckiger werden, um schärfere Abrisskanten auszubilden. Grundlage dafür könnten neue Formgedächtnismaterialien sein. Sie verändern je nach Temperatur oder angelegter Spannung ihre Geometrie.“
An der Universität Stuttgart verfolgen die Forscher einen völlig neuen Ansatz: „Wir untersuchen, ob man mit gezielt eingebrachten Vibrationen an bestimmten Stellen der Karosserie den cw-Wert verringern kann“, erklärt Wagner. „Wenn man in die Umströmung mithilfe von Lautsprechern einen definierten Puls einbringt, lässt sich deren Ablöseverhalten beeinflussen.“ Bei einem SUV sei es so gelungen, den cw-Wert um sieben Prozent zu senken. „Das ist aber noch ein ganzes Stück von der Serie entfernt“, so Wagner. „Wir müssen zum Beispiel sicherstellen, dass die Passagiere kein Summen oder Wummern hören.“
Immer bessere Simulationen
Wie stark sich ihre Ideen auf die Aerodynamik neuer Fahrzeuge auswirken, überprüfen Ingenieure und Designer im Windkanal und mit CFD-Simulationen (Computational Fluid Dynamics, deutsch: numerische Strömungsmechanik). „CFD-Simulationen haben in den letzten 20 Jahren enorm an Bedeutung gewonnen“, berichtet Wagner. „Man hat die mathematischen Methoden besser verstanden, genauere Tools entwickelt und auch die Leistung der Computer gesteigert.“
Allerdings stossen die Computersimulationen heute noch an Grenzen. So ist es derzeit nur eingeschränkt möglich, die Auswirkungen der rotierenden Reifen zu berechnen. Auch ihre Verformung unter dem Gewicht des Fahrzeugs lässt sich heute nicht ausreichend genau simulieren. Das soll in Zukunft ebenso möglich sein wie die computergestützte Optimierung der Fahrzeuggeometrie. „Hier spielen zahlreiche Parameter wie beispielsweise der Verlauf der Seitenlinie, die A-Säule, die Heckdeckelhöhe oder der Diffusorwinkel eine Rolle“, erklärt Wagner. „Daraus ergeben sich so viele Kombinationsmöglichkeiten, dass ein Mensch sie nicht mehr überblicken kann.“ Intelligente Algorithmen könnten sich hingegen durch die Menge der Varianten bewegen und gezielt diejenigen Kombinationen finden, die einen niedrigen cw-Wert versprechen. Möglich wäre es dann auch, einen Parameter – etwa die Höhe des Heckdeckels – aus Designgründen konstant zu halten und unter dieser Randbedingung die dann verbleibenden geometrischen Varianten durchzuspielen.
In Zukunft soll Künstliche Intelligenz (KI) zu effizienteren Prozessen beitragen. „Am Ende der Entwicklung sind wir verpflichtet, für jede Fahrzeugvariante individuelle Verbrauchs- oder Reichweitenwerte anzugeben, wozu neben dem Gewicht und dem Rollwiderstand auch die Aerodynamik beiträgt“, erklärt Wiegand. „Wir müssen darum für den aerodynamischen Anteil sehr viele Daten erzeugen.“ Allerdings steht aus den vorangegangenen Entwicklungsphasen bereits eine grosse Menge von Windkanal-Messwerten und Simulationsergebnissen zur Verfügung. Diese sollen künftig besser strukturiert und mit modernen Methoden analysiert werden. „KI-Algorithmen könnten aus einem Bestand vorhandener Daten durch Interpolation und Extrapolation neue Daten erzeugen. Dadurch können wir Versuche gezielt planen und deren Anzahl reduzieren. Und wir müssten für die Typisierung nicht mehr alle Varianten messen.“
Echtzeit-Optimierung mit KI
Am Einsatz von KI-Methoden arbeitet auch Porsche Engineering. Ziel der Entwickler ist es, die Auswirkungen von Änderungen an der Fahrzeug-Geometrie in Echtzeit vorherzusagen. Während für jede Variante heute noch eine zeitraubende CFD-Simulation nötig ist, soll in Zukunft ein Neuronales Netz den Einfluss auf den cw-Wert deutlich schneller berechnen. „Man ändert mit der Maus eine Form und sieht sofort, was das für die Aerodynamik bedeutet“, so Straub. „Für das Flügelprofil eines Porsche GT3 haben wir dieses KI-basierte Verfahren schon eingesetzt.“ Der neue Ansatz wird gemeinsam mit den KI-Experten von Porsche Engineering und der Methodenentwicklung der Porsche AG in Weissach weiterentwickelt.
Dass die aerodynamisch ausoptimierten Fahrzeuge künftig alle gleich aussehen, ist nicht zu erwarten. „Ein guter cw-Wert ist auf unterschiedliche Art zu erreichen“, sagt Wagner. „Wenn man beispielsweise das Heck optimieren möchte, kann man die Heckdeckelhöhe und den Diffusor im Unterboden verändern. In Zusammenarbeit mit dem Design muss dann ein Optimum gefunden werden, das zur Marke passt. So lässt sich eine vergleichbare Aerodynamik mit unterschiedlichen Formen erreichen.“ Auch Experte Straub glaubt nicht an ein künftiges Einheitsdesign: „Es wird auch in Zukunft keine Verwechslungsgefahr bestehen – selbst bei den aerodynamisch besten Fahrzeugen.“
Zusammengefasst
Durch die Umstellung auf E-Mobilität machen Fahrzeuge gerade einen Sprung bei der Aerodynamik. Dazu sollen künftig verstärkt aktive Massnahmen wie veränderbare Formen am Heck oder gezielt eingebrachte Vibrationen beitragen. Grosse Fortschritte gibt es auch bei den Simulationen und der Versuchsoptimierung mit Künstlicher Intelligenz. .
Info
Text erstmals erschienen im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 2/2022.
Autor: Christian Buck
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