Aus dem Vollen

Seine E-Antriebe verleihen dem Cayenne Electric überzeugende und überraschende Qualitäten. Im Vorfeld der Weltpremiere dreht der Christophorus eine erste Runde auf dem Parcours des Porsche Experience Center in Leipzig.

   

Dieses leise Schmunzeln von Porsche-Instrukteur Timo Kluck auf dem Fahrersitz hätte eine Warnung sein können. Dann kommt auch noch der fürsorgliche Hinweis, dass man doch bitte seinen Kopf an die Kopfstütze des Beifahrersitzes anlehnen möge. Denn der Start des neuen Cayenne Turbo Electric steht unmittelbar bevor – und zwar per Launch Control.

Diese Launch Control entfesselt die volle Leistung des nun vollelektrischen SUV – schlagartig werden 850 kW (1.156 PS; Cayenne Turbo Electric: Stromverbrauch* kombiniert (WLTP) 22,3 – 20,4 kWh/100 km, CO₂-Emissionen* kombiniert (WLTP) 0 g/km, CO₂-Klasse A ) spürbar. Dies ist das absolute Toplevel der dreistufigen Leistungsentfaltung. „Im normalen Fahrbetrieb ist der Fahrer bereits Herr über 630 kW (857 PS)“, erklärt Cayenne-Baureihenleiter Michael Schätzle. „Dann stehen mit der Push-to-Pass-Funktion1 für zehn Sekunden weitere 130 kW (176 PS) zur Verfügung, beispielsweise für den schnellen Überholvorgang.“ Aus dem Vollen geschöpft wird dann per Launch Control. Das bedeutet: Fahrerlebnisschalter auf Sport Plus, linker Fuß auf die Bremse, rechter Fuß auf das Fahrpedal, voll durchtreten, Bremse lösen – schon schießt der Wagen aus den Startlöchern. In dieser dreifachen Abstufung lässt sich die Leistung des Cayenne im Alltag jederzeit portionieren und perfekt an die eigenen Bedürfnisse anpassen.

Für das Entfesseln der vollen Performance braucht es spezielle Rahmenbedingungen, so wie die am Porsche Experience Center in Leipzig. Die Strecke vor dem E-SUV ist frei, gerade und lang – drei essenzielle Attribute, wenn man die Launch Control ihren Job machen lassen will. Sie vermittelt das Gefühl, dass der Horizont durch die Windschutzscheibe springt und die 850 kW (1.156 PS) entfesseln ihre Kraft. 2,5 Sekunden reichen aus, um den Zeiger des digitalen Tachos über die 100-km/h-Markierung wischen zu lassen, bei 7,4 Sekunden passiert er bereits die 200 im Anzeigencluster.

Die Wucht, mit der der Cayenne Turbo Electric von der Startlinie lossprintet, ist kaum zu begreifen. Der Cayenne ist ein SUV mit großer Masse. Aber eben auch ein Sportwagen von Porsche. 

Flexible Plattform

Ohne ein harmonisches Zusammenspiel aller Antriebs- und Chassis-Komponenten wäre dies nicht möglich. Das bestätigt auch Michael Schätzle, der mit Blick auf das SUV sagt: „Manchmal gelingen einem Autos besonders gut.“ Das ist pures Understatement, suggeriert es doch, dass bei Konzeption, Konstruktion und Erprobung des neuen Cayenne irgendetwas dem Zufall überlassen worden wäre. Und das ist natürlich nicht der Fall.

Schließlich ist dieser Cayenne nicht der erste elektrische Porsche. Seine Entwickler haben von den Erfahrungen aus der Taycan- und Macan-Electric-Entwicklung profitiert. Die Ingenieure konnten sogar auf die eine oder andere Baugruppe zurückgreifen, die Porsche bereits in Serie produziert, so wie die Plattform PPE 41. PPE steht für Premium Platform Electric und dient als Baukasten für die hochklassigen E-Fahrzeuge im Volkswagen Konzern, auch der Macan in seiner jüngsten Ausbaustufe setzt auf die PPE 41.

Das Clevere an solchen Baukästen ist ihre Flexibilität. Sie lassen sich an unterschiedlichste Anforderungen anpassen – bezüglich Größe und Leistung, aber auch, was Gewicht oder Einsatzzweck eines Modells angeht. Also hat Porsche die PPE 41 des Macan adaptiert und zur PPE 41 C für den Cayenne Electric weiterentwickelt. Ausgelegt auf noch mehr Leistung und Praktikabilität. Denn der Cayenne soll auch in seiner elektrischen Version ein ausgezeichnetes Zugfahrzeug sein. Bis zu 3,5 Tonnen dürfen an den Haken. Ein Spitzenwert für ein SUV, ganz gleich, welcher Antrieb in ihm steckt. 

So ein Zugfahrzeug braucht Kraft und zwingend einen Allradantrieb. Beides hat das SUV. „Unsere Kunden schätzen seit jeher den hohen Nutzwert des Cayenne“, sagt Michael Schätzle. „Daher wollten wir bei der Entwicklung des vollelektrischen Modells keine Kompromisse eingehen.“

Öldirektkühlung für den Motor an der Hinterachse des Turbo 

Der Cayenne Electric verfügt stets über einen Vorderachs- und einen Hinterachsantrieb. Den stärkeren Hinterachsantrieb im Turbo-Derivat haben die Experten in Weissach neu entwickelt, und gebaut wird dieser in Zuffenhausen. Dieses Aggregat ist bemerkenswert und stellt den nächsten Sprung in der Porsche-Technologie dar – passend zum Cayenne, der bereits in der Vergangenheit ein Technologieträger für den Sportwagenbauer war. 

Eines der Highlights des neu entwickelten Hinterachsantriebs ist die Öldirektkühlung. Durch den Einsatz der direkten Kühlung an den Kupferleitern konnte der Wirkungsgrad des E-Motors auf bis zu 98 Prozent gesteigert, der Bauraum um bis zu 30 Prozent reduziert und die Dauerperformance für die Rennstrecke optimiert werden. 

Diese Öldirektkühlung kommt auch im Rennsport-Prototypen GT4 e-Performance zum Einsatz. Das Derivat auf Basis des 718 GT4 Clubsport ist ein Versuchsträger für eine vollelektrische Zukunft des Kundensports. Bei dem 735 kW (1.000 PS) starken GT-Fahrzeug gewährleistet die Öldirektkühlung, dass die Power im Rennmodus über einen gewünschten Zeitraum unvermindert zur Verfügung steht. Die Öldirektkühlung kommt heute auch in den Formel-E-Antrieben zum Einsatz. „Die Formel E ist unser Entwicklungslabor für die Elektromobilität von morgen. Dort gewinnen wir wertvolle Erkenntnisse für unsere Straßensportwagen“, sagt Dr. Michael Steiner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender und Mitglied des Vorstands, Forschung und Entwicklung. „Der neue Cayenne Electric zeigt, wie schnell ein solcher Technologietransfer bei Porsche erfolgt und wie serienrelevant unser Engagement in der Elektrorennserie ist.“

Dynamo im Heck

Der Technologietransfer aus dem Rennsport wird auch beim Bremsen – oder besser beim Verzögern – erfahrbar. Denn der Cayenne Electric baut seine Geschwindigkeit im Alltag fast ausschließlich durch Rekuperation ab. Hier werden die E-Maschinen zu einem großen Dynamo und speisen Energie zurück in den Akku. Und zwar mit bis zu 600 kW Leistung – ganz so wie der 99X Electric, mit dem in der Formel E bereits mehrere WM-Titel gelangen. Das erhöht einerseits die Reichweite und schont andererseits die klassische Reibbremse, auf die der neue Cayenne selbstverständlich nicht verzichtet, optional auch als Porsche Ceramic Composite Brake (PCCB).

Zusätzlich zu der Rekuperation über das Bremspedal kann der Fahrer Schubrekuperation über drei Stufen wählen. Sie werden am Center Display aktiviert und lassen sich zwischen „Ein“, „Aus“ und „Auto“ variieren.

Zurückgespeist wird die Energie in den 113-kWh-Akku, der den tiefsten Punkt des Cayenne-Chassis bildet, das ebenfalls eine komplette Neukonstruktion darstellt. Das elektrische System besitzt eine 800-Volt-Architektur und kann mit bis zu 400 kW2 geladen werden. Der Strom fließt in einen NMCA-Akku (Nickel-Mangan-Kobalt-Aluminium), der aus sechs Modulen zusammengesetzt ist. Darin stecken jeweils vier sogenannte Stacks, die wiederum aus acht Zellen bestehen. So hat Porsche die Energiedichte der Zellen auf ein neues Niveau gehoben und über die Modulbauweise außerdem einen besonders reparaturfreundlichen Akku entwickelt. Einzelne Module lassen sich bei Bedarf austauschen.

Die Wohlfühltemperatur der Akkus, bei der sie besonders schnell Leistung aufnehmen oder abgeben können, liegt bei etwa 20 Grad Celsius. Um diese Temperatur zu gewährleisten, hat Porsche viel Entwicklungsarbeit in das Thermomanagement investiert. Die zentrale Komponente steckt im Vorderwagen. Dabei sind die Leitungen zum Akku einen besonderen Blick wert. Denn dieser wird von oben und unten gekühlt, was einen Effizienzgewinn von 15 bis 20 Prozent gegenüber einer Kühlung nur von einer Seite ermöglicht.

Bei kalten Temperaturen, etwa bei einem Ladevorgang im Winter, wird die Batterie gewärmt. Für diesen Fall lässt sich der Akku vorkonditionieren, also auf 15 bis 20 Grad Celsius temperieren, damit die Elektronen schnell fließen und zu ihren Plätzen in den Zellen finden können. So lassen sich kürzeste Ladezeiten realisieren. In Zahlen: In weniger als 16 Minuten3 ist der auf zehn Prozent SoC (State of Charge – Ladestand) leergefahrene Akku wieder auf 80 Prozent geladen. Strom für mehr als 300 Kilometer Reichweite lässt sich in gerade einmal zehn Minuten4 nachladen. Auch weil eine Schnellladefähigkeit von mehr als 350 kW über einen sehr langen Zeitraum aufrechterhalten werden kann. „Mit dem Cayenne Electric heben wir die E-Performance auf ein neues Niveau. Unser innovatives Hochvoltsystem vereint maximale Effizienz mit der für Porsche typischen Fahrdynamik“, erklärt Michael Steiner. „Die funktionsintegrierte Batterie, das doppelseitige Kühlkonzept und das vorausschauende Thermomanagement zeigen, wie wir Technologie ganzheitlich denken. Unser Anspruch ist es, Elektromobilität zu gestalten, wie sie zu Porsche passt – effizient, leistungsstark und emotional zugleich.“

Präzises Fahrgefühl

Schließlich geht es beim Cayenne Electric, wie bei jedem Porsche, um schnelles Reisen. Die kombinierte WLTP-Reichweite liegt je nach Modell bei bis zu 642 Kilometern. Nach so einer Strecke braucht wohl auch der ausdauerndste Fahrer eine kleine Pause und eine gute Viertelstunde reicht nur knapp für einen Kaffee und ein Croissant – empfehlenswert ist ein früherer Zwischenstopp ohnehin.

Um das schnelle Reisen so angenehm wie möglich zu gestalten, ist für den Cayenne Turbo Electric optional das Active-Ride-Fahrwerk mit vier aktiven Dämpfern erhältlich, die Wank- und Nickbewegungen des Fahrzeugs vermeiden. Klassische Stabilisatoren werden damit überflüssig. „Durch Porsche Active Ride vergrößert sich die Bandbreite zwischen Fahrdynamik und Fahrkomfort beim neuen Cayenne noch einmal deutlich“, bekräftigt Michael Schätzle. 

Das Auto bleibt auch bei schneller Kurvenfahrt horizontal, lässt sich präzise auf der Straße positionieren und vermittelt so das elegante Porsche-Fahrgefühl. „Wir haben unsere gesamte Spitzentechnologie in dieses Modell gepackt und auch vieles neu entwickelt“, sagt Schätzle. „Dieser Cayenne ist ein technologischer Meilenstein.“

Dazu gehört auch die optionale Möglichkeit, den neuen Cayenne kabellos zu laden, induktiv, so wie wir es längst von unseren Mobiltelefonen kennen. Dafür sind zwei Elemente nötig: die Ladeplatte, die am Boden befestigt wird, und das Gegenstück unter der Front des SUV. Zwischen diesen beiden Bauteilen fließt Strom mit 11 kW in den Akku, bei einer Effizienz von deutlich über 90 Prozent.

Sport- und Geländewagen

Zurück in Leipzig. Die Beschleunigung des Cayenne ist spektakulär – vor allem dann, wenn man sich nochmal vor Augen führt, dass man in einem SUV sitzt. Dann naht die erste Kurve. Timo Kluck zirkelt den Wagen mit Leidenschaft hinein. Dabei wird er von der optionalen Hinterachslenkung und der geregelten Quersperre unterstützt, die das Antriebsmoment an der Hinterachse gezielt zwischen den beiden Rädern verteilt. Würde man nicht so hoch sitzen, wäre die Illusion perfekt, in einem klassischen Sportwagen Platz genommen zu haben. Die Reifen wimmern in den Kurven zwar hörbar, verlieren aber nicht die Haftung.

Rennsportgene:

Der Formel-E-Rennwagen 99X Electric bei Testfahrten in der Prototypentarnung des Cayenne Electric. Ein Symbol für den Techniktransfer – beide Wagen arbeiten zum Beispiel mit bis zu 600 kW Rekuperationsleistung.

Nach schnellen Runden auf der Strecke geht es auf den Offroad-Parcours des Experience Center. Aus dem Sport- wird ein Geländewagen. Steile Auffahrten, Verschränkungsstrecken, üble Rüttelpisten – der Cayenne Electric nimmt sie gelassen. Allerdings sind jetzt die Regelsysteme gefordert. „Jedes Rad bekommt nur so viel Moment zugeteilt, wie es auch auf den seifigen Untergrund übertragen kann“, erklärt Schätzle. Das Porsche Traction Management (PTM) verteilt das Antriebsmoment voll variabel in nur fünf Millisekunden.

In jedem Bereich agiert der Cayenne Electric auf dem nächsten Level: im Gelände, auf der Straße und auch an der Ladesäule. 2002 war die erste Cayenne-Generation ein mutiger Schritt. Nach 1,5 Millionen produzierten Exemplaren ist klar, wie erfolgreich er war – und bis heute ist. Beinahe ein Vierteljahrhundert später steht der Neue im Startblock, um den Staffelstab zu übernehmen – vollelektrisch. Die nötige Performance dafür hat er, so viel ist sicher. 

Info

1 Batterieladezustand und Batterietemperatur können die Push-to-Pass-Leistung beeinflussen.
2 Ladeleistung Cayenne unter spezifischen Bedingungen mit CCS-Schnellladesäule mit > 400 kW, > 850 V, > 520 A, Ausgangsladezustand 45 %–48 %, Batterietemperatur 40 °C–42 °C. Maximale Ladeleistung für Gleichstrom (DC) bei einem Ladevorgang von 10 % SoC auf bis zu 80 % SoC unter optimalen Bedingungen: 390 kW (CCS-Schnellladesäule mit > 390 kW, > 850 V, > 520 A, Batterietemperatur 15 °C, Ausgangsladezustand 9 % und Restreichweite < 60 km).
3 Cayenne-Ladezeit für Gleichstrom (DC) mit maximaler Ladeleistung von 10 % SoC auf bis zu 80 % SoC unter optimalen Bedingungen (CCS-Schnellladesäule mit > 390 kW, > 850 V, > 520 A, Batterietemperatur 15 °C, Ausgangsladezustand 9 % und Restreichweite < 60 km).
4 Cayenne, nachgeladene Reichweite in 10 min für Gleichstrom (DC) mit maximaler Ladeleistung unter optimalen Bedingungen (CCS-Schnellladesäule mit > 390 kW, > 850 V, > 520 A, Batterietemperatur 15 °C, Ausgangsladezustand 9 % und Restreichweite < 60 km), basierend auf WLTP-Verbrauch eines Fahrzeugs mit Serienausstattung gemäß deutscher Länderausführung.

Christian Bangemann
Christian Bangemann

Verbrauchsangaben

Cayenne Turbo Electric