Bitte nicht waschen!
Porsche Schweiz – Ausfahrt: Wenn aus einer wilden Idee Wirklichkeit wird: Wir wollen mit dem vermutlich verrücktesten aller modernen Porsche 911 innert zehn Tagen 8’000 Kilometer aus dem Herzen der Schweiz bis zum Nordkap und zurück fahren. Mit dem Porsche 911 Dakar. Inklusive Übernachtung im Dachzelt. Überredet? Überredet!
Bitte nicht waschen! Diesen Satz hören wir nicht nur am Tag der Abfahrt aus dem schweizerischen Zug in Richtung Norden, sondern noch sehr oft im Verlaufe der kommenden zehn Tage. Und von uns kommt kein Widerspruch. Man soll dem Sportwagen die kommenden 8’000 Kilometer auf dem Weg über Stock und Stein ans Nordkap, den nördlichsten Punkt Europas, der übers Festland auf dem Strassenweg erreichbar ist, auf jeden Fall ansehen.
Neben den Dekorstreifen in Rot und Gold trägt unser 911 Dakar mit dem Rallye-Design-Paket, dessen Optik an das Siegerfahrzeug der Rallye Dakar 1984 angelehnt ist, auch den Schriftzug „Roughroads“ auf den Türen. Der Begriff – in der Schweiz markenrechtlich geschützt – spiegelt das Konzept des 911 Dakar und seine Eignung für den Einsatz abseits befestigter Strassen wider. Eine Eignung, die wir in den kommenden Tagen prüfen werden.
Zunächst wird jedoch das erstmalige Beladen des 911 zur Herausforderung. Der Kofferraum ist schnell gefüllt, der Rest muss hinter den Vollschalensitzen aus dem Porsche 918 Spyder verstaut werden. Schliesslich haben wir alles dabei, übernachtet wird auf dem Dach des Elfers. Rückblickend würden wir noch einiges dazulernen, was das speditive Be- und Entladen des Offroad-Elfers anbelangt. Auch lernen wir, dass wir auf Abenteuerreisen dieser Art mehr Proviant für alle Fälle dabei haben sollten.
Fahren, Tanken, Kaffee, Essen, Entladen, Schlafen, Beladen, Repeat! So sehen die nächsten zehn Tage im und um den 911 Dakar aus. Das mag langweilig klingen, ist es aber mitnichten. Die im Schnitt rund zwölfstündigen Fahrten im höhergelegten Elfer sind zu unserem Bedauern viel zu schnell um, unter anderem auch dank überwältigender landschaftlicher Eindrücke. Zudem haben wir Fahrer uns eine Menge zu erzählen und auch der Elfer gibt viel von sich preis. Er macht klar, dass seine grobstolligen Reifen ungeahnte Reserven auf trockener Strasse haben. Und noch mehr Reserven, wenn es wie aus Eimern schüttet. Dass sein Sprintvermögen fast keinem anderen Elfer nachsteht. Und dass sein Schubumluftventil akustisch angenehm wahrnehmbar ist, sofern man den richtigen Gang und die richtigen Lastverhältnisse wählt.
Nicht nur wir im Sportwagen frönen dem wohl vielseitigsten Elfer aller Zeiten, auch die Passanten reagieren. Als wir auf der Reeperbahn, Hamburgs sündigster Meile, vorfahren, ziehen wir alle Blicke auf uns. Ein Dachzelt auf einem Elfer tut sein Übriges. Ein Tankstellen-Stopp ist ohne Benzingespräche, Fotos, Videos, Selfies und positive Bekundungen rund um den mittlerweile immer schmutzigeren Dakar kaum möglich. Kaffee wird spendiert, Carspotter stehen sich gegenseitig im Weg und vor allem: Wo man hinblickt, freuen sich alle über den Anblick dieses unkonventionellen 911.
Asphaltierte Strassen wirken eher wie eine Notlösung.
Je höher wir in den Norden kommen, desto weniger Verkehr kreuzt unsere Wege. Und wir stellen fest, dass wir nicht nur zu zweit unterwegs sind. Wir sind zu dritt: Der Elfer ist längst einer von uns, ein latent verrückter Geselle. Seine Bodenfreiheit, die 50 Millimeter mehr beträgt als bei einem 911 Carrera mit Sportfahrwerk, gepaart mit dem serienmässigen Liftsystem, das den Vorder- und Hinterwagen um weitere 30 Millimeter anheben kann, erreicht das Niveau klassischer SUVs. Heisst für uns: spontaner Umweg über 30 Kilometer naturbelassene Waldstrasse? Passt für uns und den 911 Dakar. Was nicht passt: unser Zeitgefühl und der Versuchung zu widerstehen, wirklich jeden weiteren Offroad-Umweg mitzunehmen. Der Fähre winken wir nur noch hinterher. Endstation auf einer norwegischen Insel ohne Hotel, Supermarkt oder Tankstelle oder sonstiger nennenswerter Zivilisation mitten in einem Fjord. Aber hey: mit Dachzelt kein Problem, hätten wir doch nur etwas mehr Verpflegung dabei. So wird aus einem Sandwich, einer halben Tüte Chips und zwei Flaschen Mineralwasser ein doch eher karges Nachtmahl. Zum Glück hält das Dachzelt die kalten Temperaturen ab und ermöglicht einen geruhsamen Schlaf.
Mit viel fahrerischer Freude gelangen wir nach neun Nächten und unter anderem auch opulenteren Abendessen ans Nordkap. Dort erwarten uns pure Zivilisation, Touristenströme und vor allem: jede Menge grauer Nebel. Nichts ist zu sehen von dem ganzen Brimborium rund um den nördlichsten Punkt am Ende des festen Strassennetzes. Enttäuscht zu sein, liegt uns jedoch fern, denn uns erwartet der Heimweg, in dem wohl besten 911, den wir jemals gefahren sind. Wir lassen uns auch auf dem Rückweg treiben. Nur ein fester Punkt in unserer Routenplanung ist gesetzt: der Gotland Ring, die Rennstrecke auf der Insel Gotland in Schweden.
Der Versuchung zu widerstehen, jeden weiteren Offroad-Umweg mitzunehmen – das bleibt schwierig.
Dass ein Elfer Rundkurs kann, müssen wir an dieser Stelle nicht erwähnen. Daran ändert auch die erhöhte Bodenfreiheit nichts, ja nicht einmal das Dachzelt. Eine Offenbarung sind jedoch die exklusiv für den Dakar entwickelten Offroad-Reifen: Trotz sagenhaften neun Millimetern Profiltiefe überzeugen die Pirelli Scorpion All Terrain Plus selbst im asphaltierten Grenzbereich. Und wenn wir ganz ehrlich sind: Die Kombination aus erhöhtem Schwerpunkt und gelenkigerem Gummi gefällt uns sogar richtig gut. Am Limit geniessen wir das deutliche Mehr an Bewegung im Fahrzeug – eine grossartige Abwechslung zum streng rundenzeitenorientierten Fahrverhalten wie auf Schienen, das wir von allen anderen Elfer-Varianten kennen.
Da wir den 911 Dakar nicht behalten dürfen – und dies der Fakt ist, der uns vielleicht am meisten an dieser Erfahrung schmerzt –, muss er dann doch irgendwann gewaschen werden. Und bei den geschätzt zehn Kilo Lehm, Dreck und Schmutz, die wir von Zug bis ans Nordkap aufgesammelt haben und die nun in der Waschbox von der Karosse fliessen, schwelgen wir in Erinnerungen.
Erinnerungen an einen unvergesslichen Trip mit einem hochbegabten 911. Ein 911, der zeigt, dass es für dieses Konzept eines Sportwagens keine Grenzen gibt. Denn dieses Auto kann tatsächlich alles – Reisen, Rennstrecke, Offroad, Rallye – und alles mit sehr viel Spass und auf sehr hohem Niveau. Vielleicht holt er sich die letzte Sekunde auf dem Nürburgring nicht, aber dafür überzeugt er mit einer immensen Vielseitigkeit, die für einen Sportwagen fast nicht vorstellbar ist. Auch fliegen ihm die Sympathien und Emotionen zu und er bietet eine Menge liebsamer Überraschungen. Das macht ihn in der Summe unbezahlbar. Repeat bitte!
Verbrauchsangaben
911 Dakar
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11,3 l/100 km
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256 g/km
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G Klasse
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G Klasse