Glasklar
Der Entrepreneur Silvio Denz bereitet ein großes Jubiläum vor: 100 Jahre Lalique. Eine Reise durch die Epochen der Glaskunst im Elsass. Die Klarheit des Materials passt zum Wesen dieses Mannes.
Verbrauchsangaben (Deutschland)
Porsche 911 Turbo S Cabriolet
Kraftstoffverbrauch kombiniert: 11,3 l/100 km
CO₂-Emissionen kombiniert: 257 g/km (Stand 03/2021)
Eine halbe Autostunde nördlich von Straßburg, an der Mautstelle Schwindratzheim, kennt der Wegweiser nur eine Richtung: Paris! Bis dorthin wären es aber noch rund 500 Kilometer. Wer vor der Wahl steht: Paris oder der Rest der Welt, mag sich für die Metropole entscheiden. Dabei, das lernen wir später von Silvio Denz, findet man in Paris alles – selten aber Frankreich. Das gibt es auf dem Land. Gerade auch hier im Elsass, in der Grenzregion zu Deutschland. Wir lassen Paris links liegen, Schwindratzheim hinter uns und rollen schnurstracks in den Naturpark Nordvogesen, nach Wingen-sur-Moder.
Ein Pariser – der Juwelier, Künstler und Kunsthandwerker René Lalique – hat vor 100 Jahren die Moderne und die Industrialisierung nach Wingen gebracht. Viele Dekaden später bewahrte der Schweizer Investor Silvio Denz das Erbe der Lalique-Dynastie vor dem Ausverkauf. Dann erweiterte er es um Exklusivitäten, eröffnete Sterne-Restaurants und bestückte ein Museum mit der weltgrößten Sammlung von Vintage-Parfümflakons. Er arbeitet unablässig daran, den berühmten Namen Lalique zur Weltmarke zu machen. Zu einem Label, in dem Anspruch und Wertigkeit, Design und Kunst anklingen. „Luxus-Lifestyle, ja“, sagt Denz, 64, „aber nicht bloß teuer und effektvoll. Der Erfolg kommt nur über Qualität. Je exklusiver, desto besser.“
Lalique ist weltweit mit über 700 Stores und Showrooms präsent und mit mehr als 30 eigenen Boutiquen vertreten. Ob in Paris, London, Beverly Hills, Moskau, Hongkong, Beirut oder Taschkent – und eben Wingen, im Nadelwald des Vogesenvorlandes. Dort fühlen wir uns nach wenigen Schritten um ein Jahrhundert zurückversetzt. In einem Hinterzimmer der Produktion steht Olivier Petry. Der Lehmofenbauer strahlt die Ruhe eines Zen-Meisters aus, streicht mit bloßer Hand die Oberflächen von sechs Öfen glatt. „Einer hält vier Monate“, sagt er, „dann ist er buchstäblich ausgebrannt und ich forme die nächste Generation.“
Lalique ist Manufaktur, das begreift man sofort. Traditionelles Kunsthandwerk. In der Fertigungshalle schreiten fünf Mann die immer gleichen kurzen Wege ab: zwischen dem Schmelzofen – 1.200 Grad heißes Herz der Produktion – und dem im Boden versenkten Kühlofen. Im Rhythmus von wenigen Minuten empfängt Martial Rinie mit der Schnabelschere seinen Kollegen mit der Glasmacherpfeife und trennt den glühendheißen Glaskörper ab. Hochkonzentrierte Präzisionsarbeit, gleichmäßig wie ein Uhrwerk.
250 Mitarbeiter fertigen, verpacken, versenden übers Jahr mehr als eine halbe Million handgefertigte Unikate. Schmuckstücke und Parfümflakons, Inneneinrichtung und Dekor wie Kristalllüster, Vasen, Intarsien für Möbel – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Manche Objekte erfordern Hunderte von Arbeitsstunden.
Tradition:
Seit 20 Jahren fährt Silvio Denz Porsche 911 Turbo S, immer in Schwarz. Die 1920 erbaute Villa René Lalique in Wingen-sur-Moder verwandelte er in ein stilvolles Restaurant.
Denz hat seit 2008 über 25 Millionen Euro in den Standort Wingen investiert. Die Produktivität wuchs, vor allem aber hat er die Qualität signifikant gesteigert. „Wir wollen keine zehn Millionen Einheiten produzieren. Jedes Stück ist einzigartig. Selbst wenn sich manche von ihnen ähneln, finden sich wie bei einem Suchbild Details, in denen sie sich unterscheiden. Wir geben savoir-faire, das Fachwissen, weiter und setzen die Tradition fort.“
Einst industrialisierte René Lalique den Parfümflakon. Die Glashütten im Elsass waren auf Jahre hinaus ausgelastet. Als die Groupe Pochet 1994 den Familienbetrieb Lalique übernahm, hoffte das auf Kosmetikverpackungen spezialisierte Pariser Unternehmen auf Synergien. Doch die Zukunft, das erkannte Silvio Denz anderthalb Jahrzehnte später, lag nicht in der von René Lalique einst forcierten Massenfertigung. Sondern in der Exklusivität. Denz ist konziliant im Auftritt. Keiner, der das große Wort führt oder sich mit einer Entourage umgibt. Termine vereinbart er persönlich am Telefon. Das Direkte ist ihm wichtig. Als er Lalique übernahm, beharrte der damalige Direktor in Paris auf dem streng hierarchischen Unternehmermodell mit einer strikten Befehlskette von oben nach unten. Es dauerte ewig, bis Informationen wieder oben ankamen. Als Denz seinen kooperativen Führungsstil einführte, klagte der Direktor: „Sie untergraben meine Autorität!“ Denz entließ den kompletten Vorstand. „Ich bin Teamplayer. Zusammen, davon bin ich überzeugt, können wir viel mehr erreichen. Wer von unseren insgesamt 720 Mitarbeitern mir Auskunft gibt, ist mir egal, ich möchte einfach schnell und kompetent informiert werden.“
Manufaktur:
Flüssiges Glas aus dem Schmelzofen nimmt in kunstvoll gefertigten Formen fantasievolle Gestalt an. Die Gussvorlagen werden mit Stechbeitel, Holzhammer und großem Fingerspitzengefühl präpariert.
Beim Mittagessen im Château Hochberg in Wingen – neben dem Sterne-Restaurant Villa René Lalique und dem Château Lafaurie-Peyraguey im Bordeaux das dritte von Denz initiierte Gourmetlokal – kommt der Entrepreneur auf seinen Vater zu sprechen. Die Familie war nicht arm, aber auch nicht reich. Wie wurde Denz zu dem erfolgreichen Multiunternehmer, der er heute ist? „Mein Vater sagte: ‚Sprachen sind die Türen des Lebens. Ohne Sprache ziehen die Leute dich über den Tisch.‘“ Der Sohn lernte Englisch in Milwaukee, Französisch in Lausanne und begann eine typische Schweizer Karriere als Bankkaufmann bei der Kantonalbank in Basel. Eher versehentlich geriet er in einen Familienbetrieb – und formte die Acht-Mann-Firma zur Parfümeriekette Alrodo mit 800 Mitarbeitern. Fragt man ihn, was es zum Erfolg braucht, nennt er typische Tugenden: solide Ausbildung, Fleiß und harte Arbeit. Statt Mut sagt er „kalkuliertes Risiko“. Ganz gleich, ob er in Weinberge im Bordeaux investiert oder in schottischen Whisky.
Lalique war 2008 defizitär, Denz kannte sich im Parfümgeschäft aus und begriff sofort: „Acht Millionen Euro Umsatz beim Parfüm reichen nicht. Nur wenn es uns gelingt, ihn zu verdoppeln oder zu verdreifachen, können wir Geld verdienen. Heute stehen wir beim vierfachen. Das Parfümgeschäft ist die tragende Säule.“
Vor 100 Jahren ließ sich René Lalique mit seiner Glaskunst im Elsass nieder. Heute bewahrt Silvio Denz das Erbe – durch Veränderung.
Das zeichnet den Visionär aus: dass er Möglichkeiten erkennt und nutzt, dass er zusammendenkt, was auf den ersten Blick nicht zueinander passt. Silvio Denz interessierte sich weder für Whisky noch für Kristallware. Aber seine Leidenschaft für Parfümflakons eröffnete ihm ein neues Geschäftsfeld. Denz: „Die Kristallproduktion von Lalique wollte ich ursprünglich gar nicht übernehmen und Whisky war überhaupt nicht geplant. Aber dann sagte mir mein Kunde Macallan, dass der in den alten Fässern lagernde Whisky immer weniger werde und er deshalb die Preise hochhalten wolle. Gut, dass ich die Kristallproduktion besaß – wir erhöhten die Wertigkeit über die Flasche. 2003 verkauften wir die erste für 5.000 Dollar.“ Heute füllt Lalique Whisky in Kristallflaschen ab, die längst Sammlerobjekte sind und bis zu 70.000 Euro kosten.
Geld? Reichtum? Denz winkt ab. Geld brauche er, um seine Belegschaft zu bezahlen. Um das Geschäft weiterzuentwickeln. In der Gesellschaft werde man taxiert. „Man steht auf einer Reichenliste, wird über den materiellen Besitz definiert.“ Nein, Geld mache nicht glücklich. „Man reist auf die Malediven und beschließt, glücklich zu sein. Aber dann ist das Essen schlecht und man bekommt Durchfall. Glück kann man nicht kaufen, wahres Glücklichsein kommt von innen.“
Das klingt nun beinahe calvinistisch. Auch dass Silvio Denz den öffentlichen Auftritt scheut und es schafft, völlig skandalfrei zu leben, passt ins Bild vom disziplinierten Geschäftsmann. Doch dahinter verbirgt sich ein stiller Exzentriker. Er besitzt Flug- und Tauchschein (höchstes Level), fährt seit 20 Jahren Porsche 911 Turbo S, zurzeit den vierten in Folge, alle schwarz. Im Bordeaux steht ein Porsche Panamera bereit. Über einen Taycan als weiteren Sportwagen denkt er nach. So wie er an Parfümflakons das feminin Zarte schätzt, empfindet er die Kraft seiner Porsche als maskulin.
„Gegensätze und Balance sind wichtig. Man kann das Glück nur schätzen, wenn man auch mal kein Glück hat.“ Sein Geschäftssinn wird durch seine Leidenschaften austariert. Denz begeistert sich für Architektur und Kunst. Er kooperiert mit Elton John, Damien Hirst, dem Lichtkünstler James Turrell, arbeitete mit Zaha Hadid, Anish Kapoor und vielen anderen. In seiner zielstrebigen und dennoch gewinnenden Art überzeugt er sie alle. Man glaubt ihm aufs Wort, wenn er erklärt: „Bis ich 24 Jahre alt war, habe ich gearbeitet. Seit 40 Jahren tue ich, was mir Freude bereitet.“ Dazu gehört für ihn unbedingt die Liebe zum französisch-ländlichen Traditionsstandort Wingen. Weit weg von Paris und jenseits von Schwindratzheim.