Interview mit Michael Steiner

Der Entwicklungsvorstand über das Fahren begehrenswerter Autos, die nächste Generation und das Glück in der Natur.

   

Herr Steiner, warum ist die sogenannte Schwarzwaldhütte hier inmitten der Teststrecke Ihr Lieblingsort in Weissach?

Ich treffe mich hier fast jeden Freitagnachmittag mit Experten, um mir neue technische Entwicklungen in Fahrzeugen zeigen zu lassen und sie – sportlich – zu erfahren. Diese Termine im grünen Herzen unseres Entwicklungszentrums sind für mich Highlights. Raus aus dem Büro und ran ans Objekt. Das Häuschen bietet uns Abgeschiedenheit, von hier aus fahren wir auf das große Prüfgelände, die Geländestrecke und unsere Zustandstrecken mit unterschiedlichen Belägen. Der Name des Häuschens spiegelt wider, dass wir uns im Nordschwarzwald befinden. Als naturverbundener Mensch mag ich auch diesen Aspekt sehr gern.

Welche Rolle spielt für Sie der Fahrspaß?

Eine große! Wie präzise und in welcher Reaktionsgeschwindigkeit unsere Modelle Lenkbefehle aufnehmen, bremsen und beschleunigen, ist eine Freude. Unsere Fahrzeuge sind Sportwagen und Sportgeräte. 

Was zog Sie 2002 zu Porsche?

Die Sympathie für die Marke. In meiner Jugend schenkte mir ein Freund einen Porsche-Kalender, dieser hing viele Jahre in meinem Zimmer. Ich liebe die Proportionen des Elfers, aber natürlich auch seine Überlegenheit auf der Straße.

Weissach vor zwei Dekaden und heute – wie fällt der Vergleich aus?

Der Unterschied ist gewaltig. Als ich anfing, war Weissach viel intimer. Damals waren wir zwar auch bereits 2.000 Mitarbeiter, aber heute beschäftigen wir hier über alle Ressorts rund 6.500 Menschen.

Wie vollzog sich dieser Ausbau?

Weissach wuchs rasant mit dem Modellprogramm und neuen Technologien. Das erste große neue Gebäude war das Elektronik-Integrationszentrum EIZ. Diese Hauptabteilung wurde erst 2002 gegründet. Heute spielen Elektrik, Elektronik und Software eine tragende Rolle. Ein weiterer Meilenstein war der 1:1-Windkanal im Verbund mit dem Design-Studio und dem Modellbau. Es entstanden zahlreiche neue Prüfgebäude und Versuchszentren. Für das Programm mit unserem dreimaligen Le-Mans-Sieger, dem Porsche 919 Hybrid, haben wir den Motorsportbereich umfassend erweitert. Wer vor 20 Jahren zuletzt hier war, erkennt Weissach kaum wieder. 

„An allererster Stelle steht die Aufgabe, begehrenswerte Autos zu erschaffen, die Menschen gerne fahren und besitzen wollen.“ Michael Steiner

Welche sind die wichtigsten Aufgaben für die Zukunft? 

An allererster Stelle steht die Aufgabe, begehrenswerte Autos zu erschaffen, die Menschen gerne fahren und besitzen wollen. Was sich ändert, ist die Technik mit dem dominierenden Entwicklungsthema Elektromobilität. Das heißt nicht nur lokal emissionsfreies Fahren, sondern verlangt auch regenerativen Strom und nachhaltige Prinzipien in der Herstellkette. Entscheidend ist außerdem das Thema Konnektivität. Dies bedeutet die Auslagerung vieler Funktionen aus dem Fahrzeug über eine permanente Mobilfunkverbindung zu Hochleistungsrechnern im Backend. Die meisten Sprachbefehle etwa werden nicht mehr im Auto interpretiert, sondern über eine Netzverbindung zu einer Cloud geschickt. Das Auto wird zunehmend ein intelligenter Knoten im Internet. Die Schnittstelle zwischen Fahrer und Fahrzeug nennen wir bewusst nicht User Experience, sondern Driver Experience. Im Fokus steht der Fahrer. Head-up-Display, Sprachbedienung, Touchscreens – er muss mit der gesamten Bedienbarkeit genauso verschmelzen wie mit der performanten Fahrdynamik.

Was bedeutet Konnektivität für die Fahrsicherheit?

Schon heute beobachtet das Auto sein Umfeld intelligent und gibt Hinweise über Assistenzsysteme. Etwa zum Spurhalten und Spurwechsel oder als Müdigkeitswarnung. Aber all die Systeme – ob Radar, Kamera oder Sensor – sind auf Sichtkontakt angewiesen. Ähnlich wie das menschliche Auge. Ein Radar sieht besser durch den Regen, aber nicht, was in der nächsten Querstraße los ist. Das leistet die Konnektivität: In der Schwarmintelligenz warnt ein Auto das andere und kommuniziert mit intelligenten Verkehrszeichen. Hier wird das 5G-Netz einen ganz großen Fortschritt bringen.

Wie meistert Porsche den Wandel der Mobilität?

Dieser Wandel ist ein Kraftakt für die gesamte Industrie. Für Porsche sehe ich ihn als Chance, weil wir schnelle Kursänderungen schaffen und sogar einen Gegentrend setzen können. Damit meine ich die Entwicklung über mehr Assistenzsysteme bis hin zum autonomen Fahren. Der Gegentrend zum Gefahrenwerden ist sicherlich ein Porsche. Das ursprüngliche Erleben und Erfahren, die Driver Experience, kann einen Kontrapunkt bilden zu Fahrzeugen, die nicht mehr zum Selbsterleben taugen, vielleicht nicht einmal mehr ein Lenkrad besitzen. 

Sie haben vier Söhne – hilft das beim Blick in die Zukunft?

Ja, ein bisschen. Nicht alles, was der Papa ansprechend findet, interessiert die nächste Generation und umgekehrt. Ich kann mich privat zum Beispiel noch nicht mit Gaming und Sim-Racing anfreunden. Für meine Kinder ist es selbstverständlich, mit weit entfernten Freunden gemeinsam zu spielen. Aber es gibt auch Dinge, die meine Kinder und ich gleich empfinden. Dazu gehört der Fahrspaß mit einem Porsche – und sie begeistern sich auch für den Sound von Verbrennungsmotoren.

Äußern Ihre Kinder den Wunsch, ein eigenes Auto zu besitzen?

Einer der Jungs hat ein Auto und schraubt gerne daran. Ich bin gespannt, ob sich die anderen drei auch mal selbst eines kaufen werden. Das wird auch eine Frage ihres Lebensraums, nicht jeder braucht permanent ein Auto.

Welche Porsche-Innovationen sind für Sie besonders wichtig?

Für mich ist das Doppelkupplungsgetriebe PDK eine ganz wesentliche Innovation. 1984 für den Motorsport entwickelt, zog das Schalten ohne Zugkraftunterbrechung 2008 in die Serienfahrzeuge ein. Ein gutes Beispiel für große Porsche-Erfindungen der Neuzeit ist die 800-Volt-Technologie bei E-Fahrzeugen, weil sie mehrere Vorteile vereint. Geringere Leitungsquerschnitte reduzieren Gewicht und Bauraum, wir können höhere Leistungen fahren und schneller laden.

Die 800-Volt-Technik ist ein Porsche-Alleinstellungsmerkmal.

Noch, ja. Aber viel wichtiger: Sie ist eine Porsche-Innovation auf dem Weg zum Industriestandard. Das lässt die Ladeinfrastruktur bei Electrify America in den USA oder bei Ionity in Europa erkennen. Auch ein koreanisches Unternehmen setzt auf die Technologie und in China gibt es eine ähnliche Spannungsklasse mit 700 Volt. 

Welchen Anteil hat der 919 Hybrid an dieser Innovation?

Der Rennwagen war ein wesentlicher Trigger. Wir nutzten die deutlich höhere Spannung zur Gewichtseinsparung und für mehr Leistung auf engem Raum. Aber Motorsportteile sind kleinste Volumen. Eine ganz andere Herausforderung bedeutete es, für den Porsche Taycan Komponenten aufzutreiben. Die Industrie hatte auf einen Standard von 400 Volt gesetzt. Es war sehr schwierig, Lieferanten und Partner für ein Serienfahrzeug mit 800 Volt zu gewinnen, weil wir weit und breit die Einzigen waren, die so etwas machen wollten. 

Welche Bedeutung kommt der Batterieentwicklung zu?

Eine herausragende! Ich nenne die einzelne Zelle gerne den Brennraum von morgen. Ihre Energiedichte ist gleichbedeutend mit Reichweite. Für Porsche ist aber auch die Leistungsdichte relevant, also wie schnell eine Zelle Strom aufnehmen und wieder abgeben kann. Außerdem ist die Lebensdauer ohne Leistungsverlust wichtig – die Reproduzierbarkeit. In der Zellchemie steckt noch viel Potenzial, außerdem in der cleveren Verschaltung der Zellen zu Modulen sowie im Thermomanagement. Auch der Zellschutz bei schweren Unfällen ist ein zentrales Thema. In einem E-Fahrzeug ist die Batterie der mit Abstand größte Körper. Sie ist am sichersten in der Fahrgastzelle aufgehoben und zugunsten der Schwerpunktlage im Fahrzeugboden verortet.

Welche Erkenntnisse gewinnt Porsche in der Formel E?

Wir haben bereits viel lernen können über effiziente hochdrehende E-Maschinen und Betriebsstrategien. Es ist sehr sinnvoll, scharfe Bremsmanöver mit der E-Maschine fahren zu können. Also deren Widerstand zu nutzen und dabei massiv Strom zurückzugewinnen, zu rekuperieren. Das bringt deutlich mehr Reichweite. Für maximale Fahrstabilität lernen wir, die Rekuperationslast zwischen den Achsen optimal zu verschieben und den ergänzenden Einsatz der mechanischen Bremsen zu steuern. Außerdem profitieren wir sehr von Erfahrungen im Thermo- und Stressmanagement für die Zellen.

Wie beurteilen Sie die Schnellladestruktur – in Deutschland, Europa und der Welt?

Das ist tatsächlich differenziert zu betrachten. Hierzulande laden die meisten E-Fahrzeugbesitzer ihren Wagen über Nacht zu Hause oder tagsüber am Arbeitsplatz auf. Dazu reicht eine Wechselstromladestation mit elf oder 22 Kilowatt. Schnellladestationen werden in unseren Regionen vor allem an typischen Fernstraßen gebraucht. Mir geht der Ausbau nicht schnell genug, aber global sehe ich noch ganz andere Aspekte. Schon in Südeuropa verfügen viele Häuser nicht über ausreichend belastbare Drehstromanschlüsse. In anderen Regionen, beispielsweise in China, leben viele Menschen in großen Wohnanlagen ohne Zugriff auf einen Hausanschluss. In Gemeinschaftsgaragen sind Ladestationen oft noch gar nicht erlaubt. So bekommt das Schnellladen auch in Städten Relevanz. Es gibt viel zu tun. Allerdings: Auch die heutige Tankstellendichte ist nicht in einer Dekade entstanden. 

Welche Modelle fahren als nächste vollelektrisch?

Unmittelbar bevor stehen Derivate des Taycan. Mit dem Cross Turismo wollen wir noch mehr Nutzwert anbieten, unter anderem ein größeres Ladevolumen. Als nächstes folgt der rein elektrische Porsche Macan. 

Und wie sehen Porsche-Sportwagen in 30 Jahren aus?

Ich glaube, sie haben dann immer noch typische Sportwagenproportionen. Flach, eher breit und mit sichtbaren Muskeln, aber weichen Formen. Nicht brutal, sondern sympathisch. Mit der E-Mobilität werden Aerodynamik und Stirnfläche wichtiger und die Fahrzeuge deshalb noch kompakter und windschnittiger. 

Wie entspannt sich der Entwicklungschef?

Am liebsten beim Bergsteigen und Wandern, im Winter beim Skifahren und Langlaufen. Immer bevorzugt an Orten, an denen nicht zu viele Menschen sind. Wenn dafür die Zeit fehlt, gehe ich radeln und joggen oder spiele Fußball mit einer Altherrentruppe. Ich genieße alles, was ich draußen machen kann.

Hat Ferry Porsches Denken Sie beeinflusst?

Mich begeistert bis heute sein Traum, etwas zu realisieren, das bis dato nicht existierte. Träume zu verwirklichen – heute, morgen und übermorgen –, ist eine ganz tolle und inspirierende Aufgabe. 

Michael Steiner

Der gebürtige Tübinger, Jahrgang 1964, studierte Maschinenwesen an der Technischen Universität München. 2002 kam Steiner als Leiter Innovationskonzepte zu Porsche. Seit 2016 ist der vierfache Familienvater Mitglied des Vorstandes und verantwortet das Ressort Forschung und Entwicklung.

Heike Hientzsch
Heike Hientzsch