„The Legend Moves On.“ Groß hängt das Banner über einer Reihe abgedeckter Fahrzeuge. Momentan bewegt sich hier nichts in dieser schlichten Industriehalle. Aber die Silhouetten versprechen Geschwindigkeit. Wenn sie denn einmal von den Abdeckplanen befreit sind. Bernd Stadler legt Hand an. Ein Griff, ein Schwung, das Saturngelbmetallic seines Porsche 914 glänzt im Fabrikhallengrau. Genauso wie Stadlers Augen. Das Fahrzeug, es ist sein Winterprojekt. Er bringt gerade den Motor auf Vordermann. Einen Boxermotor. Luftgekühlt. Natürlich! Schließlich ist diese Halle am Rande von Weissach die Heimat der Freunde Luftgekühlter Boxermotoren, kurz: FLB.

Bernd Stadler, Porsche 914, Weissach, 2018, Porsche AG
Der Porsche 914 in Saturngelbmetallic von Bernd Stadler


Es ist: die größte Betriebssportgruppe von Porsche. Knapp 600 Mitglieder zählt sie. Alles Mitarbeiter von Porsche. Oder ehemalige. Darunter sind: Dr. Wolfgang Porsche, Matthias Müller, Oliver Blume, Hans Mezger, Norbert Singer, Walter Röhrl. Die Vorsitzenden sind Oliver Berg und Bernd Stadler. Wer hier Mitglied werden will, muss nicht zwingend ein Fahrzeug mit luftgekühltem Boxermotor sein Eigen nennen. „Es genügt, den luftgekühlten Boxermotor im Herzen zu tragen“, betont Berg. Das ist dann die ideale Basis für das, was sich die Betriebssportler auf die Fahnen geschrieben haben: die Stammbaumpflege mit dem VW Käfer als Urahn bis zu den 911-Modellen der Generation 993, die Bildung eines Erfahrungs- und Wissensnetzwerks, Vermittlung der Unternehmenskultur, soziales Miteinander – und natürlich praktiziertes Fahrvergnügen.

Der luftgekühlte Boxermotor ist der Kristallisationspunkt für die Marke Porsche, seit Ferry Porsche einen leistungsgesteigerten Käfer-Motor in seinen 356-001 eingebaut hat. Aufgrund seiner Bauweise mit zwei einander gegenüberliegenden Zylinderreihen verfügt der Boxer über eine hervorragende Laufruhe, höchste Zuverlässigkeit und einen niedrigen Schwerpunkt, als Kurzhuber bietet er optimale Bedingungen für ein hohes Drehvermögen. Man kann auch sagen: Er ist schnell bei der Sache. Was sich dann wiederum in den unzähligen Rennsiegen von Porsche ausdrückt. Oder der unbedingten Zuverlässigkeit, für die der Käfer berühmt ist. Dazu kommt der Klang, das charakteristische Stakkato, das vor allem bei den Luftgekühlten pur und unverfälscht in die Ohren dringt. Das weckt Emotionen. Was dann vielleicht auch den Zulauf zur Betriebssportgruppe erklärt.

Lose Kontakte unter den Boxermotor-Freunden bestanden schon seit Jahren, gepflegt vor allem von 918-Interior-Designer Thorsten Klein. Oliver Bergs ehemaliger Bauernhof in Möttlingen diente als Treffpunkt, in der Scheune fanden die Luftgekühlten Platz, vom Käfer und seinen Derivaten bis zum Porsche 911 S Targa aus dem Jahr 1975. Die Gründung der Betriebssportgruppe im Herbst 2010 war dann die logische Konsequenz, zumal Berg zu dieser Zeit in Bernd Stadler noch einen weiteren Gleichgesinnten kennenlernte, mit dem er die Verantwortung teilen konnte. Zeitgleich übernahm mit Matthias Müller ein Mann den Vorstandsvorsitz bei Porsche, der die enge Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart besonders förderte. Mit Erfolg: Innerhalb eines Jahres zählte die Gruppe bereits 270 Mitglieder.

Mehr als 30 Fahrzeuge von Mitgliedern warten auf kommende Einsätze

Eines der Gründungsmitglieder ist Herbert Linge. 1943 kam er als Lehrling zu Porsche, war Rennmechaniker und -fahrer und schließlich Betriebsleiter im Entwicklungszentrum Weissach.  Der bald 90-Jährige bewegt seit Jahrzehnten einen 911 Targa, Baujahr 1976 und somit garantiert luftgekühlt. Linges Frau Lilo war es, die 2012 von der 1600 Quadratmeter umfassenden, schmucklosen Industriehalle am nördlichen Ortsrand von Weissach erfuhr. Sie knüpfte den Kontakt zum Rathaus. Wenig später war ein langfristiger Mietvertrag unterzeichnet. Die Freunde Luftgekühlter Boxermotoren hatten ihre Heimat gefunden.

Hier richteten sie eine Fahrzeughalle ein, wo die vierrädrigen Vereinsmitglieder eine Bleibe finden. Mehr als 30 Fahrzeuge von Mitgliedern warten auf kommende Einsätze. Oliver Bergs grauer 356 sticht zwischen den 911-Konturen heraus, mittendrin steht ein rarer Käfer Automatik in Beige, dazu zwei VW Bullis. „Die Stellplatzmiete reicht für die Miete der Anlage“, erklärt Oliver Berg.

Oliver Berg, Bernd Stadler, l-r, Weissach, 2018, Porsche AG
Ein Blick in die Halle der Freunde Luftgekühlter Boxermotoren


In der Halle nebenan dominieren vier stabile Hebebühnen den Raum. Die Werkstatt. Sie bietet beste Voraussetzungen für Reparaturen bis hin zu Restaurierungen. Am einen Ende wartet unter dem „Legend“-Banner Stadlers 914 auf seinen hoffentlich bald überholten Motor. Am anderen Ende steht ein ausgebeinter VW T2b, der noch sehr viele Stunden des Schweißens und Schleifens benötigen wird. Dahinter befinden sich ein Werkraum und eine abgetrennte Kammer mit Absauganlage für Sandstrahlarbeiten. Hier überholt Stadler den 1,7-Liter-Motor für seinen 914. Zum Einsatz kommen ausgemusterte Werkstatteinrichtungen aus dem Entwicklungszentrum, „revisionssicher umgelagert“, wie Berg betont.

Und im Souterrain das Schmuckstück: das 150 Quadratmeter große Clubheim, wo sich die Boxermotor-Freunde „in artgerechter Umgebung“ treffen können, wie Berg schmunzelnd sagt. Mehrere Sitzgruppen gibt es hier, eine Sofaecke, Regale, Vitrinen, Holzofen, einen Tischkicker und einen Tresen, über dem groß „0,8 Bar“ steht. Der Name nimmt Bezug auf den Ladedruck des ersten 911 Turbo von 1974. Die Wände des Clubraums schmücken Porsche-Plakate, Schmuckbilder von 356 bis 911, Rennanzüge oder Rennstreckenskizzen. Ein Motto: „25 Jahre Siegen in seiner schönsten Form“. Dazwischen Autogrammkarten der Rennfahrer Jo Siffert oder Brian Redman. Eine kleine Bibliothek füllt sich mit einschlägiger Literatur. „Wir wollen hier alles mit Porsche-Historie zupflastern“, erklärt Stadler.

Herbert Linge, Oliver Berg, Bernd Stadler, l-r, Weissach, 2018, Porsche AG
Die FLB treffen sich einmal im Monat zu Clubabenden


Dafür ist dann auch der ein oder andere Arbeitseinsatz notwendig. „Es ist toll, was diese Mitglieder alles schaffen“, lobt Herbert Linge den Einsatz der Jüngeren und fügt hinzu: „Auch Hauptabteilungsleiter schwingen hier den Besen.“ Man könnte sagen: Das Wort „Freunde“ wird hier großgeschrieben.

Das kommt dann vor allem bei den Clubabenden einmal im Monat zum Tragen oder bei den Ausfahrten, auf denen bis zu hundert „Luftgekühlte“ die Straßen bevölkern. Besonders voll wird es im Clubheim bei den bis zu sechs Film- oder Fachvorträgen pro Jahr, wenn Zeitzeugen wie Linge die Welt der Boxermotoren mit Geschichten füllen, die heute undenkbar wären. Wie 1954 die Fahrt im Rennfahrzeug von Zuffenhausen zum Einsatzort in Le Mans und nach dem Rennen wieder zurück.

„Dieser 550 Spyder hat einfach nicht mehr zu den anderen auf den Hänger gepasst“, erklärt Linge die Aktion lachend und fügt hinzu: „Mich wundert es, dass sich vor allem die jungen Leute so sehr für die Carrera Panamericana oder das Le Mans der Fünfzigerjahre interessieren.“

Das ist dann vielleicht die Lust am Analogen in einer digitalisierten Welt. Ein Gegenpol, der für Werte steht, die auch bei immer neuen Innovationen noch Bestand haben und als Leitkompass dienen. Hierzu sind die beiden Vorsitzenden vielleicht das beste Beispiel. Tagsüber treiben sie die Entwicklung des Unternehmens voran, Berg als Projektleiter GT Straßenfahrzeuge, Stadler als Leiter Exclusive Manufaktur. „Nach Feierabend kümmern wir uns dann um die Porsche-Kultur“, erklärt Berg. Das wird dann auch entsprechend dokumentiert: „Wir filmen alle Vorträge samt anschließenden Fragerunden. Das hier vorgetragene Wissen soll keinesfalls verloren gehen“, betont Stadler. Schließlich soll die Legende ja nicht stehen bleiben. Im Gegenteil.

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