50 Jahre ist es her, da wurde die Künstliche Intelligenz erstmals für die breite Masse greifbar – in Form eines Hollywood-Films. Regisseur Stanley Kubrick ließ 1968 in seinem Science- Fiction-Epos „2001: Odyssee im Weltraum“ den Supercomputer HAL 9000 die Kontrolle über ein Raumschiff übernehmen. Eine Maschine, schlauer als die Menschen?

Die akademische Geschichte der Künstlichen Intelligenz (KI) ist zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt. Geboren wird sie im Juli 1956 am renommierten Dartmouth College im US-Bundesstaat New Hampshire. Eine Gruppe ambitionierter Mathematiker und Elektroingenieure trifft sich zum Dartmouth Sommerforschungsprojekt „Künstliche Intelligenz“. Initiator ist John McCarthy, der Erfinder von LISP, der zweitältesten Programmiersprache.

Geburt eines neues Fachgebiets

Nach einem arbeitsamen Sommermonat hatten die zehn geladenen Utopisten viel eng beschriebenes Papier und große Ideen zustande gebracht. Sprechende Maschinen, menschlichen Gehirnen nachempfundene Netzwerke, sich selbst optimierende Computer und sogar maschinelle Kreativität schienen den Gründern in ihrer Euphorie greifbar nah. Vor allem aber prägten sie damals den Begriff „Künstliche Intelligenz“ und schufen so auch ein neues Fachgebiet, das fortan die Welt in Atem halten sollte.

Und zwar schneller als gedacht. Einer der Teilnehmer der Konferenz, Arthur Lee Samuel, Informatiker am Massachusetts Institute of Technology (MIT), brachte noch im selben Jahr einem IBM-Computer vom Typ 701 das Brettspiel Dame bei. Sein Programm verwendete dabei eine Methode, mit der die Maschine besonders in den späteren Versionen aus ihrer eigenen Erfahrung lernen konnte. 1961 trat sie gegen den Landesmeister von Connecticut an – und gewann. Damit war die Grundidee der KI im Ansatz umgesetzt: Software lernt aufgrund großer Datenmengen.

Vorbild für „Odyssee im Weltraum“

Ein Computer des Typs 704 lernte übrigens im gleichen Jahr in den Bell Laboratories den Song „Daisy Bell“ und gab ihn per Sprachsynthese wieder. Stanley Kubrick griff das auf und ließ in seiner „Odyssee im Weltraum“ den Supercomputer HAL 9000 eben dieses Lied singen. Für die breite Masse war das Science-Fiction pur. Heute reißt es niemanden mehr vom Hocker, wenn Musik aus dem Computer kommt. Dagegen ist eine andere Fähigkeit von HAL 9000 noch weit außer Reichweite: Die sogenannte starke oder generelle, also die den Menschen allumfassend imitierende oder gar ersetzende KI bleibt vorerst Utopie. Kein technisches System wird in absehbarer Zeit den sogenannten Turing-Test bestehen, mit dem beurteilt wird, ob eine KI dem Menschen ebenbürtig ist.

Dafür können die Maschinen andere Dinge besser als der Mensch. Sie brillieren beispielsweise bei der Analyse großer Text- oder Datenmengen und stellen das Herzstück von Internetsuchmaschinen dar. Eingebettet in unzählige Smartphone-Apps begleitet uns diese sogenannte „schwache KI“ bereits auf Schritt und Tritt in unseren Hosentaschen – meist sind wir Nutzer uns dessen kaum bewusst. Wer mit „Alexa“ oder „Siri“ spricht, dessen Sätze werden von KI-Algorithmen analysiert. Schon John McCarthy bemerkte trocken über dieses Schicksal von KI-Anwendungen: „Sobald es funktioniert, nennt es niemand mehr ‚Künstliche Intelligenz‘.“

„Deep Blue“ schlägt Schachweltmeister Garri Kasparow

Aber davor steht das Staunen, wenn KI mal wieder einen Meilenstein aufstellt. So wie 1997, als der Schachcomputer „Deep Blue“ den Schachweltmeister Garri Kasparow schlug. Ohnehin sind Spiele ein beliebtes Testfeld für KI-Wissenschaftler – und ein öffentlichkeitswirksames zudem. Wie „Jeopardy“. Bei diesem TV-Quiz müssen die Kandidaten zu einem Begriff die richtige Frage finden. Dabei sind die gestellten Aufgaben meist bewusst mehrdeutig formuliert, häufig ist die Verknüpfung mehrerer Fakten erforderlich, was die Sache durchaus herausfordernd macht.

Dem IBM-System „Watson“, gefüttert mit 100 Gigabyte an Texten, gelang es 2011 trotzdem, die beiden menschlichen Rekordsieger zu schlagen. Sein Vorgehen dabei: Anstatt sich auf einen einzelnen Algorithmus zu stützen, nutzt Watson Hunderte davon gleichzeitig, um über einen Pfad eine potenziell richtige Antwort zu finden. Je mehr Algorithmen unabhängig voneinander die gleiche Antwort erreichen, als desto wahrscheinlicher wird es angesehen, dass Watson die korrekte Lösung gefunden hat.

AlphaGo schlägt „Go“-Weltmeister Lee Sedol

Das nächste Ausrufezeichen setzte DeepMind. Das 2010 gegründete Londoner Start-up, das 2014 in den Google-Konzern integriert wurde, hat eine KI-Anwendung entwickelt, die sich beim Erlernen von Spielen selbst optimiert: AlphaGo hatte sich zum Ziel gesetzt, einen menschlichen „Go“-Weltmeister zu schlagen, was aufgrund der extremen Komplexität dieses Strategiespiels als schier unlösbares Problem galt.

2016 hat es AlphaGo zum ersten Mal geschafft: Es besiegte den amtierenden Weltmeister Lee Sedol aus Südkorea und setzte damit einen Meilenstein. Gegenwärtig besiegt sich das Programm als AlphaZero nur noch selbst. Dabei verzichtet es auf menschliche Beispielpartien. Es lernt ausschließlich aus dem Spiel gegen sich selbst. Menschliche Spieler haben überhaupt keine Chance mehr gegen AlphaZero.

Künstliche Neuronale Netze

Möglich wird dies durch sogenannte Künstliche Neuronale Netze. Neuronen sind Nervenzellen. Sie bilden einen Zusammenhang, dem einzelne Aufgabenstellungen zugeordnet werden, etwa das Sehen. Im menschlichen Nervensystem sind scheinbar endlos viele Neuronen dynamisch vernetzt. Das menschliche Gehirn lernt, indem diese Verknüpfungen laufend neu gewichtet werden. Regelmäßig genutzte Pfade werden stärker, selten genutzte Verbindungen verkümmern.

Ein Künstliches Neuronales Netz versucht, diese Struktur nachzubilden. Untereinander vernetzte künstliche Neuronen nehmen dabei Eingabewerte auf und füttern in nachgeschalteten Ebenen angelegte Neuronen mit diesen Informationen. Am Ende dieser Kette liefert eine Ebene von Output-Neuronen einen Ergebniswert. Die variable Gewichtung der einzelnen Verbindungen verleiht dem Netzwerk eine bemerkenswerte Eigenschaft: die Lernfähigkeit. Heute weisen die Netze immer mehr dieser Ebenen auf; sie sind komplexer, weiter verschachtelt – sie sind tiefer. Der gestiegenen Rechnerkapazitäten sei Dank. Tiefe neuronale Netzwerke bestehen teilweise aus mehr als hundert dieser hintereinandergeschalteten Programmebenen.

Vor der KI steht allerdings das Training, auch Deep Learning genannt. Dabei bekommen die Systeme korrigierendes Feedback von außen, zum Beispiel von einem Menschen oder einer anderen Software. Anhand dieser Rückmeldung zieht das System seine Schlüsse – und lernt.

Die wichtigste Technologie der Zukunft

Porsche-CIO Mattias Ulbrich hält KI für die wichtigste Technologie der Zukunft, die uns hilft, wieder mehr Zeit für das Wesentliche zu haben. „KI wird Teil der Wertschöpfung sein. So wie uns Roboter heute schon körperlich entlasten, wird uns die KI bei Routinearbeiten im Denken und Entscheiden unterstützen“, erklärt er.

Bis es soweit ist, liegt aber noch sehr viel Arbeit vor den Entwicklungsabteilungen. Ein zentrales Thema dabei: Sicherheit und Privatsphäre. Dem haben sich bei Porsche Tobias Große-Puppendahl und Jan Feiling aus der Hauptabteilung Entwicklung Elektrik/ Elektronik angenommen. Denn Personalisierung, Schwarmintelligenz und Privatsphäre brauchen wiederum KI, um beim Sammeln und Austauschen von Daten die Eigenschaft des Privaten zu erhalten. Mittels des sogenannten Federated Learning soll der Datenaustausch minimiert werden.

Dabei lernt eine lokale KI im Auto vom Verhalten des jeweiligen Nutzers. Sagt ein Fahrer zum Beispiel, „mir ist kalt“, soll die KI die Heizung höherstellen. Ihren Lernerfolg – oder anders ausgedrückt: ihre Erfahrungen – gibt sie an die Cloud und die dort installierte globale KI weiter. Die konkreten Daten aber, Sprachprotokolle zum Beispiel, bleiben im Auto. Schließlich geht es ja um die Intention dahinter: Jeder Nutzer drückt seinen Wunsch individuell aus, erwartet aber das Gleiche. Genauso wie ein Mensch, dessen Sprache wir nicht verstehen, uns trotzdem klarmachen kann, dass er friert.

Porsche gestaltet Fortschritt mit

Natürlich kann das auch HAL 9000 aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“. Dass sich Künstliche Intelligenz aber gegen den Menschen auflehnt, ist – Stand heute – pure Science-Fiction. So wie auch das Beamen aus der Serie „Raumschiff Enterprise“ wohl auf immer und ewig Utopie bleiben wird. Gute Science-Fiction bildet eben nicht nur den – der breiten Öffentlichkeit meist wenig bekannten – Stand der Technik ab, wie der singende Computer, sondern fantasiert auch gewaltig.

Auch der Dresdner KI-Spezialist Professor Sebastian Rudolph hält solche Zukunftsszenarien mit Blick auf den heutigen Stand der Technik für extrem weit hergeholt. Wie jede Technik könne allerdings auch KI missbraucht werden – oder fehlerhaft umgesetzt. Heißt: Man muss die Entwicklung nicht mehr und nicht weniger fürchten als den technischen Fortschritt allgemein. Und so gesehen macht es Sinn, diesen technischen Fortschritt selbst mitzugestalten, so wie es Tobias Große-Puppendahl und Jan Feiling verinnerlicht haben – und zwar in bester Porsche-Tradition in Anlehnung an Ferry Porsche: „Wir konnten nicht die KI finden, die uns zusagte. Also haben wir sie selbst gebaut.“

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