Es ist Freitag, der 14. Januar 2022, und reichlich kühl auf der Versuchsstrecke im Porsche Entwicklungszentrum Weissach. Doch auch der eisige Wind kann die Leute in den dicken Winterjacken kaum stören. Ihr Interesse gilt allein dem Rennwagen mit der geheimnisvollen Tarnfolierung, dessen komplexe Startvorbereitungen laufen. Sie wissen, dass gleich ein besonderes Ereignis bevorsteht. Denn als der V8-Motor bissig bellend anspringt und Werksfahrer Frédéric Makowiecki den Porsche 963 als ersten LMDh-Rennwagen überhaupt auf die Strecke rollt, hat sie begonnen: die neue Ära des Langstreckensports. Fans und Fahrer, Teams und Hersteller haben sehnsüchtig auf sie gewartet.

Das sogenannte Roll-out des Hybrid-Rennwagens war ein wichtiger Meilenstein für das Prototypenprojekt, aber nicht dessen Startpunkt. Bereits lange zuvor hatte der Sportwagenhersteller damit begonnen, wichtige Komponenten des 963 im Einklang mit dem strengen Reglement zu entwickeln und ausführlich auf Prüfständen zu testen. So muss der 4,6 Liter große V8-Biturbo zum Beispiel seine Leistung von bis zu 529 kW (720 PS) und sein gewaltiges Drehmoment nach strengen Vorgaben entfachen – das Regelwerk definiert für die Kraftentfaltung einen engen Korridor. Diese Kennlinien und viele andere Faktoren wie Verwindungssteifigkeiten und die Vibrationseigenschaften haben die Experten von Porsche Motorsport im Vorfeld mit Hightech-Werkzeugen penibel aussortiert.

Das Chassis selbst hat Multimatic konzipiert und gebaut. Der kanadische Hersteller ist aus Kostengründen einer von nur vier Anbietern, die dieses Grundgerüst für Rennwagen der LMDh-Klasse anbieten dürfen. Ende 2021 führten die Techniker im Motorsportzentrum Flacht alle Komponenten zusammen: den V8-Biturbo-Motor, das Einheits-Hybridsystem und die komplexe Elektronik sowie alle Aufhängungs-, Karosserie- und Cockpitbauteile – ein Megapuzzle mit mehr als 16.700 Einzelteilen. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum ersten großen Highlight: dem Roll-out des neuen 963 in Weissach.

„Das war sozusagen die Geburtsstunde des Autos. Ein solcher Moment ist emotional, spannend und gleichzeitig eine Belohnung für alle, die an dem Projekt mitwirken“, erklärt Urs Kuratle, als Leiter Werksmotorsport LMDh für den neuen Le-Mans-Prototypen verantwortlich.

Für das Team Porsche Penske Motorsport begann am 14. Januar 2022 aber auch eine intensive und arbeitsreiche Test- und Entwicklungsphase auf beiden Seiten des Atlantiks. Bereits im Februar spulte der 963 mehr als 2.000 Kilometer auf der Formel-1-Strecke in Barcelona ab. Es folgten weitere Entwicklungsfahrten im spanischen Aragon, auf dem belgischen Ardennen-Kurs in Spa-Francorchamps, im italienischen Monza sowie auf den US-Rennstrecken von Daytona, Sebring und Homestead-Miami. „Der wichtigste Schritt ist uns aber im September beim Langstrecken-Test in Sebring gelungen“, blickt Jonathan Diuguid zurück, der Leitende Direktor Porsche Penske Motorsport. „Dort konnten wir innerhalb von gut 36 Stunden 1.218 Runden fahren und 7.331 Kilometer zurücklegen.“

Insgesamt hat der Porsche 963 in der Testphase sogar mehr als 31.000 Kilometern abgespult. Dies entspricht ungefähr 20 mal der Strecke von Stuttgart nach Le Mans und wieder zurück…

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