Alles in einer Hand

Porsche Engineering hat für Linde Material Handling einen neuen Multifunktionshebel für Schubmaststapler gestaltet. Dabei entstand eine innovative Lösung, die Funktionalität und ergonomisches Design effektiv verbindet.

Man sieht sie in Baumärkten, zwischen Hochregalen im Großmarkt sowie in den Lagern großer Logistikunternehmen oder der Lebensmittelbranche: Schubmaststapler. Ihre Hauptaufgabe im Lager besteht in der Nachschubversorgung. Sie sind dafür ausgelegt, auf engem Raum zu manövrieren und dabei große Lasten weit über zehn Meter im Regal ein- und auszulagern. Möglich wird das durch ihre kompakte Bauweise. Anders als bei den Frontstaplern sitzt der Bediener beim Schubmaststapler quer zur Fahrtrichtung. Durch die kompakte Bauweise mit Schubmast kann das Fahrzeug selbst in circa drei Meter schmalen Gängen manövrieren.

Eine Aufgabe des Schubmaststaplers besteht beispielsweise darin, Paletten von einer oberen Regalebene in eine untere umzulagern. Am Regalplatz angekommen, fährt der Fahrer den Mast nach oben aus und bewegt die Gabelzinken entlang der Lastarme zur gesuchten Palette. Um die Palette schnell und sicher auf- und absetzen zu können, lassen sich die Gabeln zudem nach hinten und vorne neigen sowie seitlich verschieben. Um schnell und sicher zu arbeiten, hat der Fahrer idealerweise die Ladung im Blick, ohne mehr Aufmerksamkeit als nötig auf die Bedienung des Schubmaststaplers zu verwenden.

Bedienen, ohne umzugreifen

Die Ergonomie der Fahrzeuge zu verbessern, ist deshalb ein fortwährendes Entwicklungsziel von Linde Material Handling (MH). Dies sollte bei den Schubmaststaplern der Baureihe Linde R10 bis R25 mit einer neuen Bedieneinheit zur Steuerung der Mast­ funktionen erreicht werden. Als Partner für das Design des neuartigen Multifunktionshebels (Multifunctional Lever, MFL) holte sich der Warenumschlagspezialist Porsche Engineering ins Boot. „Wir wollten ein Bedien­konzept entwickeln, das alle Hydraulikfunktionen in einem Hebel vereint“, sagt Fabian Scherer, der für Linde MH als Produktmanager Schubmaststapler tätig ist.

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Zuvor gab es zwei beziehungsweise vier einzelne Hebel, je nachdem, welches Bedienkonzept der Fahrer präferiert. „Selbst wenn der Bediener mit den He­beln vertraut ist, muss er beim Verladen doch immer wieder umgreifen“, erklärt Scherer. Das kostet Zeit und erfordert unter Umständen, den Blick kurz von der Last auf die Hebel zu richten. Genau das sollte der neue MFL ändern. Die Idee dahinter: Mit geringem Kraft­ aufwand aus Handgelenk und Fingern lassen sich alle Fahr-­, Schub­- und Hubfunktionen intuitiv steuern, ein Auf-­ und Absetzen der Hand ist nicht mehr nötig. Das ermöglicht eine intuitive Bedienung und steigert die Produktivität.

Alternativen zur Einzelhebelsteuerung gab es bereits auf dem Markt. Sie funktionierten wie ein Joystick, den der Bediener mit der Faust umfasst: Heben und Senken sowie das Aus­- und Einfahren der Gabel wird über Vorwärts­- beziehungsweise Seitwärtsbewegungen des Joysticks gesteuert. Weitere Funktionen wie das Schrägstellen der Gabel sind über Knöpfe oder Schie­ber am Joystick erreichbar. Bei ­Linde MH wollte man ebenfalls das Grundprinzip des Joysticks nutzen, es aber noch verbessern. „Wir wollten eine Lösung, bei der die Hand aufliegt, statt den Joystick zu umgreifen. Das ist weniger ermüdend“, sagt Scherers Kollege Michael Pieritz, Entwicklungsingenieur für Reach Trucks im Un­ternehmen. „Unser Ziel war größtmögliche Ergonomie.“

„Kühlhaus und Handschuhe sind das eine Extrem, das andere ist die Hand einer zierlichen Frau.“ Stefan Stark, Designer für Porsche Engineering

Zugleich sollte die neue Lösung den Umstieg von anderen Bedienkonzepten möglichst leicht machen. „In der Branche hatte sich ein Quasi­-Standard entwickelt, was die Anordnung der Bedienelemente angeht“, erklärt ­Pieritz. Darum führten die Entwickler bei ­Linde MH zunächst eine Analyse bestehender Bedienkonzepte durch. Außerdem produzierten sie mit einem 3D­ Drucker einen ersten Prototyp, der die grundsätzli­che Anordnung der Bedienelemente zeigte – einen Joystickaufsatz, der eher wie eine Computermaus aussieht, auf dem die gewölbte Hand bequem ihren natürlichen Platz findet, und leichtgängig nach allen vier Seiten beweglich ist. Der komplette Hebel wird vor­ und zurückbewegt, um den Hubmast anzuheben beziehungsweise abzusenken. Mit Bewegungen nach links und rechts wird der Mastvorschub dirigiert.

Die Hand findet ihren natürlichen Platz

Kippen und Seitwärtsbewegung der Gabel sollten mit ­Zeige- und Mittel­finger über zwei Schubregler kontrolliert werden. Aufgabe des Daumens sollte es sein, außer der Hupe auch die Vorwärts- und Rückwärtsfahrt des Fahrzeugs bei der Einpedal-Variante zu regeln.

Mit diesem Prototyp wandte sich Linde MH an das Fraunhofer-­Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Dessen Experten gaben in einer Studie vor allem die Empfehlung, die Handauflage des Multifunktionshebels in einem Winkel von rund 40 Grad zu kippen. Das entspricht der natürlichen Handhaltung – und wäre einzigartig auf dem Markt.

„Die Fahrer sind begeistert und loben insbesondere die Feinfühligkeit der Bedienung.“ Fabian Scherer, Produktmanager Schubmaststapler für Linde Material Handling

Dieser Prototyp war der Ausgangspunkt für die Arbeit von Manuel Aydt und Stefan Stark. Die beiden Designer sind schon seit vielen Jahren für Porsche Engineering tätig und wurden mit der Gestaltung des Multifunk­tionshebels beauftragt. Ihre Aufgabe war es, das neue Bedienkonzept mit dem Design der Linde ­Schub­maststapler in Einklang zu bringen und zugleich die ergonomischen Anforderungen umzusetzen. Das betraf die Neigung, die wegen des verfügbaren Bauraums auf 30 Grad festgelegt wurde. Außerdem sollte der Multifunktionshebel für alle Handgrößen geeignet sein und selbst unter erschwerten Bedingungen zuverlässig funktionieren. „Die in die Handauflage integrierten Schalter mussten sich absolut sicher bedienen lassen. Die Hand durfte auch dann nicht abrutschen, wenn die Bediener im Kühlhaus unterwegs sind und Handschuhe tragen“, erinnert sich Aydt. Sein Kollege Stark ergänzt: „Kühlhaus und Handschuhe sind das eine Extrem, das andere ist die Hand einer zierlichen Frau.“

Rippe und Winglet für bessere Ergonomie

Entscheidend für die Lösung der Aufgabe waren zwei Ideen der Designer. Eine Rippe zwischen Zeige- und Mittelfinger hilft bei der Orientierung auf dem Multi­funktionshebel. Zudem sorgt sie dafür, dass die Hand immer richtig positioniert ist, selbst in dicken Hand­schuhen und unabhängig von ihrer Größe. Zum anderen fügten die Designer auf der rechten Seite des Multi­funktionshebels einen Flügel hinzu. Dieses „Winglet“ verhindert, dass die Hand aufgrund der geneigten Stellung des Hebels abrutscht. Und es verleiht dem Multifunktionshebel ein wenig das Aussehen eines Mantarochens. „Wir haben sogar mit der Idee gespielt, ihn Manta zu nennen“, erinnert sich Pieritz. Auf jeden Fall folgt er damit anderen Komponenten der Linde­ Stapler, deren Designsprache ebenfalls von Porsche Engineering entwickelt wurde – etwa der „Shark Fin“, einem seitlichen Gestaltungselement.

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In mehreren Stufen – Handzeichnungen, 3D-Entwürfe am Computer und Prototypen aus dem 3D-Drucker – näherten sich die Designer dem fertigen Produkt. Linde MH testete die Prototypen während des Prozes­ses immer wieder direkt an den Fahrzeugen. „Dabei ging es zunächst darum, die richtige Größe zu finden, damit sich der Multifunktionshebel im verfügbaren Bauraum gut bewegen lässt“, erinnert sich Aydt. Im zweiten Schritt wurden dann fortgeschrittene Proto­typen getestet, die bereits die Bedienelemente für die einzelnen Funktionen enthielten.

Nach einem halben Jahr war der Multifunktionshebel schließlich reif für die Serie. „Wir waren sehr zufrieden, als wir das Endprodukt in der Hand hielten“, sagt Stark. Und sein Kollege Aydt ergänzt: „Mit der Rippe und dem Winglet heben wir uns klar von den Mitbewerbern ab.“ Auch ein weiteres Ergebnis macht die Designer stolz: „Der Multifunktionshebel wurde am Ende unserer kreativen Arbeit genauso in die Serienproduktion umgesetzt“, sagt Aydt. Mit ihrer Expertise gelang den Designern die angestrebte Verbindung von Gestaltung und Funktionalität.

„Der Multifunktionshebel wurde am Ende unserer kreativen Arbeit genauso in die Serienproduktion umgesetzt.“ Manuel Aydt, Designer für Porsche Engineering

Auch bei Linde MH ist man mit dem Ergebnis der Zusammenarbeit zufrieden. „Wir arbeiten schon seit 40 Jahren mit Porsche Engineering zusammen“, sagt Produktmanager Scherer. „Es besteht ein hohes Verständnis für die jeweilige Arbeitsweise.“

Die Fahrer sind begeistert

Es folgten verschiedene Tests – unter anderem bei Kunden und Händlern – sowie die anschließende Integration in die Serienfertigung. Ende 2020 kamen die Schubmaststapler mit dem neuen Multifunktionshebel auf den Markt. „Die Fahrer sind begeistert und loben insbesondere die Feinfühligkeit der Bedienung“, so Scherer. „Dieses Kundenurteil ist für uns alle die größte Anerkennung.“

40 Jahre Zusammenarbeit

Linde Material Handling und Porsche Engineering arbeiten bereits seit 40 Jahren zusammen, unter anderem im Rahmen des Produktdesigns der Linde­-Flurförderzeuge. Das allererste Kooperationsprojekt war der Diesel­-Gegengewichtstapler Linde H30 (BR 351): ein Designprojekt mit dem Ziel, die funktionalen, konstruktiven Besonderheiten des Staplers durch das äußere Erscheinungsbild sichtbar zu machen. Die Maxime „form follows function“ wurde seitdem bei vielen weiteren Fahrzeugentwicklungen umgesetzt und erhielt zahlreiche Preise – mehr als 25 Designauszeichnungen gab es seit Beginn der Zusammenarbeit. „Als Porsche Engineering vor 40 Jahren damit begann, Linde­-Stapler zu designen, sahen diese noch deutlich anders aus. In der Zwischenzeit gab es neben einer progressiven Evolution auch größere Neuausrichtungen“, berichtet Wolfgang Rüber, Vertriebsleiter von Porsche Engineering. „Stilprägend war die Baureihe 39X aus dem Jahr 2001 – eine echte Designrevolution, die bis heute Wirkung zeigt. Wir berücksichtigen aber auch ganz bewusst die Linde Material Handling Heritage, um das gelernte Markenbild zu schärfen – genauso wie bei Porsche-Fahrzeugen.“

Gabelstapler, 2022, Porsche AG
Innovativ: Die Staplergeneration 39X zeichnete sich unter anderem durch das tragende Fahrerschutzdach mit oben­ liegenden Neigezylindern aus.

Zusammengefasst

Bisher wurden die Schubmaststapler von Linde Material Hand­ling mit zwei beziehungsweise vier einzelnen Hebeln bedient. Gemeinsam mit Porsche Engineering hat das Unternehmen einen neuen Multifunktionshebel entwickelt, der alle Funktio­nen mit nur einer Hand zugänglich macht. So muss der Fahrer nicht umgreifen und hat immer die Ladung im Blick.

Info

Text erstmals erschienen im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 1/2022.

Autor: Jost Burger

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